Die Söhne der Wölfin
der Zeit war, noch einmal mit Ilian ein ernstes Wort über Romulus zu reden.
Er folgte ihr auf der Suche nach neuen Heilkräutern, um einige der inzwischen aufgebrauchten zu ersetzen, und bemerkte so beiläufig wie möglich:
»Wie hat sich Romulus eigentlich den linken kleinen Finger verletzt? Es war nicht während des Scharmützels mit der Truppe aus Alba. Danach hatte ich ausreichend Zeit, ihn zu begutachten.«
Sie erwiderte nichts, und Ulsna sah sich in seiner Vermutung bestätigt.
»Ilian, das ist krank.«
»Jeder kämpft auf seine Weise. Er brauchte eine weitere Lektion.«
»Das war eher ein weiterer Anreiz, dich umzubringen. Ilian, wenn er dein Gegner ist, warum gibst du ihm dann fortwährend Waffen in die Hand und läßt dich so sehr auf ihn ein? Und wenn du ihn als Verbündeten willst, warum sorgst du dann dafür, daß er dich weiterhin haßt? Glaubst du immer noch, Haß sei besser als Liebe?«
»Haß ist besser für uns «, erwiderte sie und ging schneller, um ihm nicht ins Gesicht sehen zu müssen, während sie sprach. »Für ihn und für mich. Liebe ist zu gefährlich. Ulsna, könnte ich die Zeit zurückdrehen, ich würde darauf bestehen, daß Faustulus mir beide Kinder übergibt. Mutmaßlich wären wir zwar dann immer noch hier und dem Schicksal verfallen, aber ich könnte meine beiden Söhne als Söhne lieben. So habe ich einen Sohn, der zu gut für mich ist, und einen, der vieles ist, doch nicht mein Sohn.«
Für Ulsna stellte es keine Schwierigkeit dar, sie einzuholen. Er hielt sie an dem Gürtel fest, den sie um ihre Taille geschlungen hatte, und zwang sie, sich umzudrehen. Entsetzt erkannte er, daß sie weinte.
»Ilian«, sagte er sehr ernst, »er wird dich umbringen, wenn ihr so weitermacht.«
»Und wenn schon«, gab sie heftig zurück, machte sich los und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus den Wimpern. »Das ist besser als die andere Möglichkeit, nicht wahr?«
Ulsna tat, was er noch nie getan hatte; er hob die Hand und schlug sie ins Gesicht, hart genug, um sie zum Stolpern zu bringen. Seit er sie auf Befehl der Herrin Nesmut hatte auspeitschen müssen, war es ihm unmöglich gewesen, ihr auf irgendeine Weise weh zu tun, und sie starrte ihn fassungslos an.
»Wage es bloß nicht«, sagte Ulsna, als er selbst wieder Worte fand. »Wage es bloß nicht, jetzt aufzugeben, nur dieses bösartigen Balgs wegen. Du hast die ganze Sache angefangen, und du wirst sie auch zu Ende führen. Seit mehr als vierzehn Jahren arbeiten wir darauf hin, dich nach Alba zurückkehren zu lassen, und du schuldest es mir, verstehst du, du schuldest es mir, im Triumph in Tempel und Palast dort einzuziehen. Du schuldest es mir, am Leben zu bleiben und über all deine Feinde zu siegen, ganz gleich, ob du einen davon zur Welt gebracht hast oder nicht. Ein Schwur bindet beide, Ilian. Ich werde dich nicht verlassen, und du wirst mich nicht verlassen, und ganz gewiß nicht dadurch, daß du Romulus als Mittel zum Selbstmord benutzt.«
Seine Hand begann sich bereits als roter Fleck auf ihrem Gesicht abzuzeichnen, als sie endlich sprach.
»So sei es«, sagte sie tonlos.
An diesem Abend forderte sie Ulsna auf, sie noch einmal zu begleiten. Sie lagerten am Ufer eines Sees, und als sie weit genug von den Laubhütten entfernt waren, um nur noch einen schwachen Schein des Lagerfeuers erkennen zu können, sagte sie: »Laß uns schwimmen.«
»Mitten in der Nacht?«
»So dunkel ist es nicht«, entgegnete Ilian und wies auf die silberne Mondscheibe, die fast vollkommen rund war. »Sie wird uns leuchten.«
In der Tat erhellte der Mond die Nacht so weit, daß Ulsna Ilians Lächeln erkennen konnte, als sie hinzufügte: »Keine Sorge, mein Freund. Ich habe nicht vor, mich oder dich zu ertränken.«
Plötzlich wurde ihm bewußt, wie sehr es ihm fehlte, sich ohne Sorge waschen zu können. Seit der Rückkehr in seine Heimat hatte ihn auch die alte Vorsicht wieder eingeholt, nicht zuletzt deshalb, weil er es Romulus durchaus zutraute, ihn in der nächsten Rasna-Stadt durch eine Steinigung loswerden zu wollen. Also zuckte er die Schultern, entledigte sich wie Ilian seiner Kleider und legte sie auf den nächsten Felsen, der sich glatt und moosfrei anfühlte.
Die Nacht verwischte die Übergänge von gebräunter Haut und hellen Stellen, die von Gewändern immer bedeckt gehalten wurden, und ließ Ilians Gestalt im Mondlicht fast weiß erscheinen. Sie ging prüfend ein paar Schritte in den See hinein, dann drehte sie sich zu
Weitere Kostenlose Bücher