Die Söhne der Wölfin
solchen Gericht werden die Vertreter aller Priesterschaften der Stadt anwesend sein. Nicht nur die der Turan. Auch die Nethuns, die in den letzten Jahren des gottlosen Arnths wegen gewaltige Handelseinbußen hinnehmen mußten, und die Caths, die sich schon immer durch Fasti übervorteilt gefühlt haben. Oh, und ein Priester des Apollon, der in die Stadt gekommen ist, um für die griechischen Händler dort tätig zu sein.«
»Du bist gut«, wiederholte er ihre eigenen Worte. »Du bist wirklich gut. Vorausgesetzt, daß deine Priester mitspielen. Aber warum ich und nicht Remus?«
»Remus wird am selben Tag so viele Leute, wie er zusammenbringen kann, zur Befreiung seines Bruders gegen die Stadt führen. Ein Aufruhr vor den Stadttoren wird nur unterstreichen, wie sehr die Dinge Arnth bereits aus den Händen geglitten sind und daß sich die Götter gegen ihn gewandt haben.«
Es war ein kühner Plan, und seine eigene kleine Verbesserung ließ sich noch hervorragend einbauen. Doch er war nicht so sehr von Schmerz, Gier und Kampfeslust überwältigt, daß er das überhört hätte, was sie bisher ausgelassen hatte: den wahren Grund, warum sie ihn und nicht Remus innerhalb der Stadtmauern haben wollte, warum sie davon gerade heute sprach, heute, da er zum ersten Mal getötet hatte. Die Schriftrollen, die sie hinterlassen hatte, die Gespräche über Riten, all das setzte sich nun zu einem Ganzen zusammen. Diesmal war er es, der an sie herantrat, bis sie seinen Atem spüren mußte.
»Der König muß sterben«, flüsterte er. »Keine Absetzung mehr, keine Verbannung. Der König stirbt endlich für die Stadt, denn du hast die eine Möglichkeit gefunden, wie er sich dem Opfer nicht entziehen kann, ohne daß es erzwungen wird. Wenn der alte König vom jungen König zum Zweikampf gefordert wird, so wie es früher bei den Jahreskönigen war. Vor dem Angesicht aller Götter und ihrer Priester, die nicht anders können, als mir mein Anrecht auf diesen Kampf zu bestätigen.«
»Ja«, erwiderte sie, und es klang wie ein Seufzen.
Romulus legte seine linke Hand mit dem gebrochenen, kaum mehr beweglichen kleinen Finger auf ihre Wange und zeichnete die Linie ihres Kinns nach.
»Vielleicht sollte ich mich fragen, wem du wirklich den Sieg wünschst. Bei dieser Verstümmelung.«
»Der Finger wird wieder heilen«, entgegnete sie sachte, »und es ist nicht deine Schwerthand. Ich gebe dir etwas gegen die Schmerzen.« Mit einer raschen Kopfbewegung drückte sie ihre Lippen gegen den Finger, den sie gebrochen hatte, dann löste sie sich von ihm und ließ ihn mit seinen Gedanken allein zurück.
Eifersucht und Neid waren für Remus so fremd, daß er eine Weile brauchte, bis er die Gefühle beim Namen nennen konnte, die ihn erfaßten, als er von dem Plan hörte, den die Mutter vorgeschlagen hatte. Sie mochte es drehen und wenden, wie sie wollte, Tatsache blieb, daß Romulus den gefährlicheren Teil des Wagnisses trug, und dafür konnte es nur einen Grund geben: Sie glaubte trotz der gemeinsam verbrachten Jahre und trotz des Umstandes, daß sie Romulus weit weniger kannte, daß Romulus der bessere Mann war.
Er begriff es nicht. Natürlich hatte er immer gewußt, daß sein zäher, kleiner Bruder einmal alle in Erstaunen versetzen würde. Romulus hatte bereits, ehe sie zu ihm gestoßen waren, viel geleistet. Er selbst hatte sich über jeden weiteren Fortschritt gefreut, den Romulus seit ihrer Rückkehr gezeigt hatte. Aber, so mußte Remus sich eingestehen, niemals wäre er auf den Gedanken gekommen, daß irgend jemand, wenn es um eine Wahl zwischen ihnen beiden ging, Romulus vorziehen würde. Nicht der Vater, der immer ihm, Remus, die schwierigeren Aufgaben zugeteilt hatte, nicht die Kameraden, die oft dahin geprügelt werden mußten, daß sie Romulus nicht gänzlich ausschlossen, und ganz gewiß nicht die Mutter, die ihn, Remus, mit sich in die Ferne genommen hatte. Ein Teil von ihm schämte sich, neidisch zu sein, nur weil nach all den Jahren einmal Romulus die größere Aufmerksamkeit für sich hatte, aber ein anderer Teil war empört und gekränkt wie ein kleiner Junge.
Er mußte sie auf irgendeine Weise enttäuscht haben, dachte Remus, und der Gedanke schmeckte bitter. Er trug ihn eine ganze Weile allein mit sich herum; mit den Gefährten darüber zu reden ging nicht an, mit Romulus erst recht nicht, und die Mutter direkt zu fragen würde ihn wie ein eifersüchtiges Kind dastehen lassen. Sie hatten bereits zweimal das Lager gewechselt, ehe
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