Die Söhne der Wölfin
deine Beine kommen so besser zur Geltung«, sagte Ulsna in dem Versuch, sich durch einen Scherz über die Rückkehr all seiner alten Ängste hinwegzuhelfen, »aber willst du wirklich, daß diese Jungen dich so sehen?«
»Wir haben Umhänge dabei«, erwiderte sie. »Außerdem hoffe ich darauf, daß uns niemand besondere Beachtung schenkt.«
Die Kühle des Wassers war vergessen. Während des auf einmal so kurzen Wegs zurück zum Lager spürte Ulsna, wie ihm unter seinem Umhang der Schweiß ausbrach. Mit einem langen Rock zu gehen war ihm nicht völlig neu; an hohen Feiertagen tauschte man in Ägypten den alltäglichen Lendenschurz ebenfalls gegen ein langes Gewand ein, zumindest dann, wenn man dem Haushalt eines Fürsten angehörte. Doch diesmal kam es ihm so vor, als müsse er sich bei jedem Schritt verheddern. Er spürte Ilians Finger in seiner Hand. Es war nicht nur ein ermutigender Griff. Als er vor dem Wachposten stehenbleiben wollte, gruben sich ihre Nägel in seine Handfläche. Am Ende nickte er dem Mann nur zu und faßte es kaum, daß der Junge tatsächlich nur kurz aufschaute. Soviel zur Verantwortung solcher Springinsfelde, dachte Ulsna ungehalten, und vergaß darüber seinen derzeitigen Zustand. War den Bengeln nicht klar, daß ihnen Späher auf der Spur sein mochten?
In der Hütte, die er mit Ilian teilte und die neben der ihrer Söhne lag, wollte er schon erleichtert auf die Strohmatte sinken, als ihm einfiel, daß er erst das unsägliche Kleid loswerden mußte, und er machte Anstalten, Brust- und Hüftbänder zu lösen.
»Warte«, sagte Ilian und holte ihren Kamm, jenen Kamm, der Wind und Wetter getrotzt hatte, weil ihn ihr Sohn Remus aus Hirschhorn geschnitzt hatte.
»Ilian, du hast doch gesehen, was du wolltest, können wir nicht...«
»Nein«, entgegnete sie nicht unfreundlich, aber bestimmt. »Ich habe nur einen Teil dessen gesehen, was ich sehen wollte. Knie dich hin«, fuhr sie fort und fügte mit halb spöttischem, halb zärtlichem Unterton hinzu: »Du hast es oft genug für mich getan, also laß es mich einmal für dich tun.«
Er kniete nieder und nahm aus den Augenwinkeln wahr, wie sie um ihn herumging und begann, das nasse Haar, das er vorhin im Gegensatz zu ihr, die in solchen Dingen erfahren war, nicht ausgewrungen hatte, zu kämmen. Es stimmte, sie hatte ihm diesen alltäglichen Dienst nie erwiesen; es hatte nie eine Notwendigkeit dazu bestanden. Es war kein unangenehmes Gefühl, im Gegenteil, denn bei jedem Knoten hielt sie inne und entwirrte ihn erst, ehe sie den Kamm weiterzog. Dabei summte sie eines seiner Lieblingslieder, und er hielt sich gerade noch zurück, als ihm ein falscher Ton auffiel. Erst als sie noch einmal zu ihrem Beutel ging und weitere Bänder und Haarnadeln herausholte, protestierte er erneut.
»Dein Haar ist noch nicht lang genug für einen richtigen Aufbau«, sagte sie, seinen Widerspruch nicht beachtend, »aber wir können einiges vortäuschen.«
Sie teilte sein Haar in der Mitte und kämmte es nach hinten. Dann drehte sie es zu einem Knoten, den sie mit zwei Nadeln befestigte und mit Bändern umwand und stützte. Das Ende seiner Leiden schien indes immer noch nicht gekommen zu sein. Sie bat ihn, die Augen zu schließen.
»Das zumindest wird dir nicht neu sein. Denk an Ägypten.«
Er dachte an Ägypten, wo es der Brauch verlangte, daß Männer wie Frauen zu den Festmählern geschminkt erschienen. Bei seinem ersten Auftritt für Gäste der Herrin Nesmut hätte er um ein Haar den Fehler gemacht, wie gewohnt mit bloßem Gesicht zu erscheinen, und war von einem wohlmeinenden Harfenmädchen im letzten Augenblick gerettet worden. Er erkannte das Gefühl wieder, die Fingerspitzen, die etwas auf seine Augenlider tupften, auf seinen Mund, und die abgerundete Spitze, die seine Brauen nachzog. Verbunden mit der stetig wachsenden Besorgnis über das, was Ilian für ihn plante, war es diesmal unendlich beunruhigender.
»Da«, sagte sie schließlich zufrieden. »Und nun sieh selbst.«
Er öffnete die Augen und starrte in den Bronzespiegel, den sie ihm hinhielt, neben dem Talglicht, das sie ebenfalls an seine Seite gestellt hatte. Es war erschreckend. Er mußte sich nie rasieren, daher gab es noch nicht einmal einen abendlichen Flaum, um das Gesicht, das ihm entgegenstarrte, weniger... weiblich zu machen. Sie hatte seine Lippen durch das Rot üppiger gemalt. Das Grün seiner Augen wurde durch die Mischung aus bläulichem Puder und schwarzer Kohle, mit der sie seine Lider
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