Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Söhne der Wölfin

Titel: Die Söhne der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
Vom Netzwerk:
bedeckt hatte, hervorgehoben und zum Leuchten gebracht, und durch das zurückgekämmte, aufgesteckte Haar kam seine hohe Stirn zur Geltung. Ihm war nie bewußt gewesen, daß er eine hatte.
    »Du bist hübsch«, bemerkte Ilian.
    »Ich will nicht hübsch sein«, klagte Ulsna. »Ich bin ein...« Er hielt inne und ließ den Bronzespiegel sinken.
    »Warum hast du mir das gezeigt, Ilian?« wisperte er verzweifelt. »Es ist zu spät dafür, viel zu spät. Ich hatte mich mit dem abgefunden, was das Leben mir gewährte. Kannst du es nicht ertragen, mich glücklich zu sehen, wenn du es nicht bist?«
    Sie saß ihm gegenüber, die Hände gegeneinandergepreßt und das Gesicht im Gegensatz zu dem seinen sehr bloß und nackt.
    »Ich möchte dich glücklich sehen«, antwortete sie traurig. »Meistens. Du verdienst es, glücklich zu sein. Aber du hast mich zurückgeholt, und es gibt nichts im Leben umsonst.«
    »Was, wenn wir es einfach hinter uns ließen?« fragte Ulsna unvermittelt. »Ich habe schon einmal daran gedacht, in Theben. Worauf es mir ankommt, ist, daß du nicht stirbst und daß du dich nicht aufgibst. Laß uns einfach von hier verschwinden. Wir können überall auf der Welt leben.«
    »Und meine Söhne?« fragte Ilian zurück. »Ulsna, ich habe sie auf diese Bahn gelenkt. Ich kann mich jetzt nicht einfach davonstehlen. Und selbst wenn ich es könnte, wenn es sie alle beide morgen nicht mehr gäbe, so wäre es mir immer noch unmöglich, noch einmal in die Verbannung zu gehen. Ich kann sterben, und ich kann nach Alba ziehen. Das sind die einzigen beiden Wege, die mir noch bleiben, und in Wahrheit wissen wir beide, daß es nur mehr einer ist.«
    Sie erhob sich und zog ihre Nadeln aus seinem Haar. »Doch dir stehen noch ein paar Pfade offen.«

    Alba, das verbotene Alba. Alba, die weiße, unerreichbare Stadt seiner Kindheit, bot sich dar an die Felsen über dem See geschmiegt wie eine Schlange, deren Schuppen in der Sonne glitzerten, und Romulus störte es nicht, daß er die Stadt als Gefangener betrat. Fabius, der sich mit ihm hatte gefangennehmen lassen, damit die Sache noch echter aussah, leckte sich nervös über die Lippen, als sie vor das breite Stadttor traten und Numas Vorgesetzter der Wache seinen Bericht erstattete. Numa hatte den Mann nicht eingeweiht, und das war gut so; die Prahlerei darüber, den Anführer der unverschämten latinischen Räuber gefangen zu haben, klang um so überzeugender.
    »Und es waren Männer aus Tarchna, die für euch die Drecksarbeit verrichten mußten«, schloß der Hauptmann selbstgefällig. »Scheint, als tauge euer König so wenig wie der letzte, häh? Den muß der unsere ja durchfüttern, aber um diesen Abfall hier sollt ihr euch ruhig selbst kümmern.«
    Die Stadtwache von Alba war um einen eigenen kleinen Trupp Krieger verstärkt worden, was einiges über die derzeitigen Verhältnisse aussagte, doch Romulus fiel auch auf, daß die Albaner trotz ihres Zorns keinen Streit anfingen, was entweder für ihre Selbstbeherrschung oder für ihre mangelnde Treue zu Amulius sprach. Er hütete sich, erkennen zu lassen, daß er etwas von dem Wortwechsel verstand, während er und Fabius darauf warteten, abgeführt zu werden. Leider konnte er nicht vorgeben, die Sprache der Tusci überhaupt nicht zu beherrschen, da er mit den Kaufleuten, die er überfiel, immer einige Worte in ihrer Sprache gewechselt hatte. Doch das Ausmaß seines Wortschatzes würde eine der Überraschungen für den Gerichtstag sein.
    Noch ein paar Sätze, und der Hauptmann bedeutete seinen Gefangenen, sie sollten den Mitgliedern der Wache folgen, die bereits beiseite getreten waren. Numa versetzte Romulus einen Stoß und knurrte: »Nun mach schon, Dieb!«
    In der Hoffnung, daß auch Fabius sich davor hüten würde, sich zu Numa umzudrehen, setzte Romulus sich in Bewegung und trottete hinter den Albanern her. Aus den Augenwinkeln betrachtete er die Befestigungen, die Stadtmauer, die bald hinter ihnen zurückblieb, die Häuser, die im Vergleich zu denen in Xaire oder Tarchna älter und etwas heruntergekommen wirkten, als hätten die Eigentümer sie länger nicht ausgebessert oder gestrichen. Die Straße hatte zwar einen der Kanäle, wie die Tusci sie überall anlegten, doch er schien an einigen Stellen verstopft. Es waren auch längst nicht so viele Händler unterwegs wie in den anderen Tusci-Städten. Nein, Alba ging es nicht mehr gut; Alba glich einer Schönen, deren Glanz an einigen Stellen rissig geworden war. Aber Alba war

Weitere Kostenlose Bücher