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Die Söhne der Wölfin

Titel: Die Söhne der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Ulsna um, der noch am Ufer stand, bückte sich und begann ihn mit Wasser zu bespritzen. Die kühlen Tropfen trafen ihn, und er lachte, mit einemmal gewiß, warum Ilian auf diesen Einfall gekommen war. Wasser bedeutete Erneuerung, eine letzte Gelegenheit, jegliche Last abzuwerfen, bevor sie wieder zu seiner klugen, unbarmherzigen Göttin wurde, die sie sein mußte, um das Schicksal zu besiegen. Bei all dem Gerede über Kinder hatte er vergessen, daß sie, Tempelzögling und Tochter des Königs, kaum je ein unbeschwertes Kind gewesen war, so wenig wie er, dem die Angst seit jeher im Genick gesessen hatte.
    Er rannte durch das Wasser zu ihr und spritzte zurück, bis sie schließlich beide ins Wasser stürzten. Ilians dunkles Haar umfloß sie wie Schlingpflanzen, als sie ein paar Bewegungen mit den Armen machte. Sein eigenes trieb ihm entgegen, als er es ihr nachtat, und es wurde Ulsna bewußt, daß er es lange nicht geschnitten hatte, zu lange nicht, um sich noch als etwas anderes als ein Rasna auszugeben. Nun, er würde es morgen erledigen. Jetzt überließ er sich ganz der Mischung aus Wohlbehagen und dem Hauch von Furcht, die das Wasser in der sternenübersäten Dunkelheit für ihn bereithielt.
    Ilian und er sprachen nicht miteinander, aber er konnte ihre Atemzüge hören, und sie verschafften ihm die Gewißheit, nicht allein zu sein. Erst als sie in stillschweigender Übereinstimmung an das Ufer zurückgekehrt waren, durchschnitt ihre Stimme den Mantel aus Schweigen, der sich um sie beide gelegt hatte.
    »Nimm mein Gewand. Ich werde deines anziehen.«
    »Was?« fragte er verständnislos. Sie waren in etwa gleich groß, doch sein Gewand war eindeutig das eines Mannes, und das ihre das einer... Einen Atemzug später begriff er.
    »Ich kann nicht. Ilian, ich habe das nie getan.«
    »Du wirst es tun. Ich möchte wissen, ob es irgend jemandem in diesem Lager auffällt, wenn wir zu unserer Hütte gehen. Es könnte wichtig sein.« Er erkannte die Härte in ihrer Stimme, als sie hinzufügte: »Du willst mich doch triumphieren sehen, oder etwa nicht?«
    Wenn es eine Strafe für die Ohrfeige sein sollte, dann war es eine ausgesucht treffende. Nie in seinem Leben hatte er Frauenkleider getragen, obwohl er sich manchmal fragte, wie sein Dasein wohl verlaufen wäre, hätte sein Meister sich seinerzeit eine Tochter statt eines Sohnes gewünscht und sein Findelkind entsprechend aufgezogen. Ulsna hatte Ilian oft genug beim Ankleiden beobachtet, er hatte ihr gelegentlich sogar dabei geholfen, er hatte auch anderen Frauen dabei zugesehen, in mehreren Ländern, doch die Vorstellung, selbst ein Frauengewand zu tragen, ließ ihn in einem Maß erschauern, das er nicht auf die Nässe seines Körpers schieben konnte. Dennoch kam es ihm nicht in den Sinn, sich einfach sein Gewand zu nehmen und Ilian sich selbst zu überlassen.
    Stumm und reglos stand er da, bis Ilian ihm das Kleid reichte, die beiden Oberteile zurückgeschlagen. Es war keines ihrer zeremoniellen Gewänder, sondern nur ein einfaches Bauernkleid. Er schluckte und stieg hinein. Mit dem sicheren Griff langjähriger Gewohnheit befestigte sie erst die Spange an der linken, dann an der rechten Schulter, die beide Seiten des Kleides zusammenhielt. Dann begann sie, das Band zwischen und unter seine kleinen Brüste zu wickeln, und dieses völlig neue Gefühl ließ ihn erstarren. Kurz bevor er Ilian zum ersten Mal begegnet war, hatte er nach Kräften versucht, zu vergessen, daß er Brüste hatte; sie waren das sichtbarste Zeichen seiner Unnatürlichkeit. Er war nicht nur dünn, weil es für ihn wenig zu essen gab, sondern weil er keinesfalls zunehmen wollte, aus Angst, das Fett könnte ihn sichtbar weiblicher machen. Beim Aufenthalt in Ägypten war diese Furcht geschwunden, aber die Gewohnheit, wenig zu essen, war ihm geblieben, wie auch das Bemühen, seine weiblichen Attribute zu ignorieren. Er hatte nie bewußt gewählt, ein Mann zu sein, doch die Vorstellung, eine Frau zu sein, war ihm ebenfalls nie gekommen. Die Erinnerung daran, wie Ilian ihm auf Arions erstem Schiff einmal gesagt hatte, sie beneide ihn, kehrte zurück, und er fragte sich, ob sie sich je allein durch diese Kleidung gefangen gefühlt hatte.
    Sie hingegen schien keine Schwierigkeiten mit seinem Gewand zu haben. Allerdings war es selbst im Mondlicht unmöglich, sie für einen Mann zu halten; der kürzere Saum unterstrich noch den Schwung ihrer Hüften, und der obere Teil spannte über ihrem Busen.
    »Ich gebe zu,

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