Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Söhne der Wölfin

Titel: Die Söhne der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
Vom Netzwerk:
er sich überwand und Ulsna aufsuchte.
    Der Barde hockte in der Laubhütte, die er mit Ilian teilte, und war gerade damit beschäftigt, die Saiten seiner Laute einzufetten. Das war besser, als ihn beim Üben oder Singen zu unterbrechen; Remus wollte ihn gerade jetzt nicht in schlechte Laune versetzen.
    »Ulsna«, begann er bedrückt und kauerte sich neben ihn, »hast du etwas Zeit?«
    »Für den zukünftigen Eroberer von Alba? Immer.«
    Es klang mehr nach gutmütigem Spott denn nach abweisendem Hohn, doch Remus zuckte zusammen.
    »Wenn alles gutgeht«, entfuhr es ihm, ehe er sich zurückhalten konnte, »dann wird Romulus der Eroberer von Alba sein. Nicht ich.«
    »Hm.«
    »Ulsna, willst du wohl damit aufhören?«
    Ohne den Blick zu heben, spuckte der Barde in ein Tuch und begann damit, auch das Holz der Laute einzureiben.
    »Mein lieber Junge, ich möchte mir nur einen weiteren Anfall jugendlichen Unmuts ersparen, der unvermeidlich zu sein scheint, wenn das Gespräch auf deinen Bruder kommt. Im übrigen weiß ich nicht, was du von mir hören willst. Daß ich dich für geeigneter halte, deinen Kopf in Alba zu riskieren? Ja und nein. Du bist die sichere Wahl, du bist besser als Krieger ausgebildet. Aber du bist nicht bereit, alles zu tun, um zu überleben.«
    Als Remus Anstalten machte zu protestieren, hob Ulsna eine Hand. »Ich meine das als Lob, du Kindskopf«, sagte er und schnitt eine kleine Grimasse. »Du hast zu hohe Begriffe von Ehre.«
    »Aber was könnte ehrenhafter sein, als sich dem Feind Mann gegen Mann zu stellen?« fragte Remus verwirrt.
    »Siehst du, das ist es, was ich meine.«
    »Oh, du bist unerträglich«, rief Remus aufgebracht, doch er machte keine Anstalten, sich zu erheben und fortzulaufen. Nach einer Weile spürte er, wie ihm Ulsna beruhigend auf das Knie klopfte.
    »Es wird schon alles werden, Remus. Denk daran, euer Gegner ist der Mann, der keine Skrupel hatte, seinen eigenen Bruder zu entmannen und in die Verbannung zu schicken, ganz zu schweigen von dem, was er eurer Mutter angetan hat. Durchaus möglich, daß er Romulus seinen öffentlichen Gerichtstag nicht gönnt, und dann wirst einzig du deinen Bruder und die Lage noch retten können. Deine Mutter weiß das. Sie vertraut dir, und das ist selten bei ihr.«
    Remus schluckte die erste Antwort, die ihm in den Sinn kam, hinunter und versuchte zu verstehen, worauf Ulsna abzielte. Er ging die Äußerung wieder und wieder durch und bemühte sich, sie einzuordnen wie die verschiedenen Tierspuren im Staub, die man ihm in Ägypten gezeigt hatte.
    »Willst du damit sagen«, fragte er schließlich, »wenn ich als Gefangener nach Alba ginge, würde sie Romulus nicht zutrauen, mich und die Lage zu retten?«
    »Wenn ich darauf antworte, steht mir wieder ein Tobsuchtsanfall ins Haus.«
    »Ulsna!«
    »Also schön. Aber versuche, dich zu beherrschen. Die Lage zu retten, traut sie Romulus gewiß zu. Aber nicht dich, und auch nicht sie.«
    Es kostete Remus in der Tat sehr viel Selbstbeherrschung, aber er brachte seine Erwiderung schließlich heraus, ohne die Stimme zu heben.
    »Romulus ist mein Bruder. Er hat mir vor ein paar Tagen das Leben gerettet. Und ich begreife nicht, warum du darauf bestehst, ihm entweder zuviel oder zuwenig Sorge um unsere Mutter zu unterstellen.«
    »Bei Tin und seinen Blitzen, dann hör auf, mich diese Dinge zu fragen«, knurrte Ulsna aufgebracht, »wenn du die Antworten nicht verkraften kannst.«
    Er sah, wie der Junge gekränkt zurückzuckte und sich aufrappelte, um diesmal wirklich zu verschwinden, und war erleichtert. Manchmal wünschte er sich, Ilian hätte nie Kinder zur Welt gebracht oder sie zumindest in ihrem Dorf bei ihrem schweinehütenden Ziehvater gelassen, ohne je zurückzukehren. Dann wäre er nie in die Lage gekommen, sich Sorgen um das zu machen, was diese drei einander antun würden.
    Ulsna wünschte sich, er könnte den Zwillingen gegenüber nichts als Gleichgültigkeit empfinden, er wünschte es sich verzweifelt. Statt dessen hatten fast fünf Jahre mit Remus dafür gesorgt, daß er sich in gewisser Weise für den zu groß geratenen Kindskopf verantwortlich fühlte. Was Romulus betraf... Romulus machte ihm angst, und er tat ihm leid. Gleichzeitig stellte er jedoch fest, daß der Junge seine eigene Art von Anziehungskraft besaß. Es hatte nichts mit der Kameradschaftlichkeit zu tun, die jedermann dazu brachte, sich sofort mit Remus zu verbrüdern. Aber die Menschen, die ihnen folgten, wandten sich an Romulus,

Weitere Kostenlose Bücher