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Die Söhne der Wölfin

Titel: Die Söhne der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Springinsfelde vom Flußdorf sie ohnehin in Ruhe lassen und nicht auf dumme Gedanken kommen, aber man konnte sehr wohl sehen, wie hübsch sie war. Andererseits glaubte er nicht, daß sie bereits genügend latinische Worte konnte, um mit den anderen Frauen ungezwungen zu reden, und die Stimmung gegenüber den Tusci war im Dorf nicht freundlicher geworden, seit der Aufseher des Königs erschienen war, um dessen Anteil vor dem Winter einzutreiben. Also beschloß er, noch etwas zu warten, aber er dachte, es könnte nicht schaden, Larentia mehr Gesellschaft in Aussicht zu stellen.
    Wider Erwarten zeigte sie keine Begeisterung darüber, aber sie wollte ihm auch nicht verraten, weswegen. »Ich habe Pompilius gesagt, du wärst eine gute Frau«, versetzte Faustulus, um ihr zu verdeutlichen, worum es ging.
    Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen, und sie erwiderte ruhig: »Du hast keinen Grund, das zu glauben.«
    Nun war ihm klar, worauf sie hinauswollte. Ein wenig Lob. Das verstand er, obwohl sie in den Anfangstagen auf freundliche Bemerkungen über ihr rasches Lernen so wenig reagiert hatte, daß er bald darauf verzichtete. Begütigend wiederholte Faustulus, was er zu Pompilius gesagt hatte und hätte sich gleich darauf am liebsten auf die Zunge gebissen. Die Fremde war wieder da, mit ihrem schneidenden, kalten Tonfall und der eisigen Miene, die ihre dunklen Augen wirken ließ wie zwei endlos tiefe Brunnenlöcher, in denen es längst kein Wasser mehr gab.
    »Wenn du meinst, daß ich eine fleißige Magd bin, dann hast du recht. Aber was den Rest angeht - weißt du eigentlich überhaupt, daß es einen Rest gibt?«
    Es war keine echte Frage, und so gab er auch keine Antwort, während sie, eine Hand in den Rücken gestützt, auf und ab ging. »Eine gute Frau«, wiederholte sie verächtlich. »Du glaubst doch, ich hätte mein Kind von einem Liebhaber. Ich hätte mein Gelübde gebrochen, weil ich so gierig nach einem Mann war, daß ich nicht warten konnte. Selbst Fasti hat das geglaubt, und sie kennt mich viel besser, als du es je tun wirst. Wenn ich die Göttin betrügen kann, was läßt dich eigentlich annehmen, daß ich dich nicht betrügen würde? Ich komme aus einer Familie von Verrätern. Mein Vater hat die Götter verraten, als sie das Königsopfer von ihm forderten, mein Onkel hat meinen Vater und uns alle verraten, und das, was ich da in mir trage... es hat mich jetzt schon verraten.« Sie blieb stehen und schaute ihn an, und ihm fiel zum ersten Mal auf, daß ihre Wangen während der Schwangerschaft nicht runder geworden waren, sondern hohler. Es war, als schmölze das Fleisch fort, um eine der Masken zu formen, die im Palast an manchen Wänden gehangen hatten. Ihre Worte trafen ihn wie spitze Messer, doch das Seltsame war, daß sie die Spitzen gleichzeitig auch gegen sich selbst richtete. Sie verschränkte die Arme ineinander, und er sah, daß der Griff ihrer Hände um die Oberarme fest genug war, um die Fingerknöchel weiß leuchten zu lassen.
    »Ich habe für dieses Kind mein Leben eingetauscht«, schloß sie tonlos, »und ich wußte es nicht. Es sperrt mich ein, es frißt mich von innen her auf, und ich will mein Leben wiederhaben.«
    Faustulus sagte das erste, was ihm in den Sinn kam, um sie am Fortfahren zu hindern.
    »Kinder.«
    Die Verwirrung, die sie erfaßte, ließ die Maske wieder zum Gesicht eines erschöpften Mädchens zerfließen.
    »Was meinst du?«
    »Kinder. Es sind zwei. Das kann man spüren«, erläuterte Faustulus, der nicht darüber nachdenken wollte, was sie gesagt hatte. »Ich dachte, das wüßtest du schon.«
    Sie schüttelte den Kopf, immer noch verwirrt, und er ging zu ihr. Behutsam löste er ihre linke Hand von ihrem rechten Oberarm und legte sie auf ihren Bauch. Seine eigene Hand wölbte sich über ihren Fingern, und er fuhr mit ihnen die Umrisse nach, die er manchmal ertastete, wenn er neben ihr lag.
    »Zwillinge«, sagte er. »Das bringt Glück. Oder glauben die Tusci etwas anderes?«
    Ihre rechte Hand legte sich um seine Schulter, und er spürte, wie sie den Kopf an ihn lehnte. »Du bist ein guter Mann, Faustulus«, flüsterte sie. »Aber du weißt nicht, wovon du sprichst.«

    Unter den Dingen, die sie aus ihrem früheren Leben mitgebracht hatte, war eine Doppelflöte, und je länger die Abende wurden, desto öfter spielte sie darauf. Faustulus, der sich nicht erinnern konnte, den Palast je ohne Musik in irgendeinem Winkel erlebt zu haben, wenn er dort Dienst tat, fand ihre Weisen

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