Die Söhne der Wölfin
und ich komme gewiß allein zurecht.«
»Und wenn du doch...«, begann er unsicher, denn er wollte wirklich gern wieder ein Fest unter seinesgleichen erleben, sie jedoch auch nicht im Stich lassen. Larentia überraschte ihn durch einen kurzen Kuß auf die Wange, was sie bisher noch nie getan hatte.
»Die Kinder werden heute nicht kommen. Glaub mir. Ich weiß es.«
Er beschloß, ihr zu vertrauen. Da er nun alleine unterwegs war, erreichte er das Dorf noch rechtzeitig für die Feier, und hatte sich genügend Antworten zurechtgelegt, um die zu erwartenden Neckereien, wo denn seine geheimnisvolle Frau stecke, abzuwehren. Lediglich als Rufus meinte, in dieser Nacht gelte es aufzupassen, daß kein Unterweltsdämon sie hole, überlief ihn ein kalter Schauder. Er ging schnell vorüber; es war nur dem langen Zusammensein mit Larentia zu danken, daß er empfänglich für derlei Gerede war, statt darüber zu lachen.
Er stürzte sich in die Feier, tanzte mit den anderen um den Scheiterhaufen und sprang nach einer Wette mit Pompilius sogar über die Flammen, was seine Beine etwas ansengte, ihm aber als Lohn für den besten Sprung einen schönen neuen Mantel für Larentia einbrachte, den die Frau des Pompilius mit Waid blau gefärbt hatte und der eigentlich für dessen Reise nach Veij bestimmt gewesen war, wo Pompilius versuchen wollte, von einem anderen Tusci-König bessere Bedingungen für das Dorf auszuhandeln.
Wie vereinbart schlief Faustulus im Haus des Pompilius, bei Marcus und Rufus, jedoch nur für einige Stunden, denn sie hatten bis spät in die Nacht gefeiert. Der Kopf brummte ihm noch etwas, als er wieder nach Hause aufbrach, mit dem blauen Mantel und ein paar getrockneten Kräutern, die ihm Pompilia für seine Frau mitgegeben hatte. Er dachte daran, seine Wolfsfalle im Wald zu überprüfen, um festzustellen, ob das angebundene Rebhuhn, das als Köder diente, noch dort war. Die ehemals mit Laub bedeckten Zweige waren eingebrochen, und an den Spitzen der Pfähle, die er in den Grund der Grube gerammt hatte, klebten blutige Haare, doch es mußte dem Tier trotz allem gelungen sein, mit dem Rebhuhn zu entkommen. Seufzend machte er sich daran, die Abdeckung wiederherzurichten, und es dauerte eine Weile, bis er seinen Heimweg fortsetzen konnte.
Er hörte die Kühe nicht brüllen, als er den Hof erreichte, was bedeutete, daß Larentia sie gemolken haben mußte, was wiederum hieß, daß es ihr tatsächlich wieder besserging. Zufrieden öffnete er die Tür - und traute seinen Augen nicht. Vor der Feuerstelle saß seine Frau, eine Schale mit Kuhmilch in der Hand. Aus der Schale trank, auf der Erde liegend und mit blutigen Hinterläufen, die jemand mit Wasser notdürftig gesäubert hatte, eine Wölfin. Er brachte keinen Laut hervor, ganz im Gegensatz zu der Wölfin, die, kaum daß er eingetreten war, den Kopf hob und ihn anknurrte.
Faustulus, der Angst hatte, daß sie im nächsten Moment einem von ihnen die Kehle aufreißen würde, verletzte Hinterläufe hin oder her, rührte sich nicht. Er fragte sich, ob Larentia verrückt geworden war und wieso die Wölfin sie nicht schon längst gebissen hatte. Wölfe ließen niemanden an sich heran, das wußte jeder. Nicht, daß er bisher je in die Lage gekommen war, dieses Wissen auf seine Richtigkeit zu überprüfen.
»Es ist gut«, murmelte Larentia, und Faustulus brauchte eine Weile, bis er begriff, daß sie mit der Wölfin sprach, nicht mit ihm. »Er wird dir nichts tun.«
Beim Klang ihrer sanften Stimme drehte die Wölfin ihren Kopf zu Larentia zurück. Sie wimmerte leise, und Faustulus konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, daß sich der Blick des Geschöpfes in einer völlig untierischen, ja menschlichen Weise mit dem seiner Frau kreuzte. Erst als die Wölfin wieder trank, wandte sich Larentia ihm zu.
»Sie kann kaum noch laufen«, sagte sie, noch immer in dem gleichen gedämpften Tonfall. »Sie wird dir nichts tun, und den anderen Tieren auch nicht.«
»Sie hat immer noch ihre Zähne«, entgegnete Faustulus ebenso leise, aber mit einer Mischung aus Zorn und Entsetzen. »Und sobald sie dazu in der Lage ist, wird sie damit ihre Beute reißen. Wölfe sind eine Plage, Larentia. Man muß sie töten, und das so schnell wie möglich.«
Larentia schüttelte den Kopf. »Du kannst sie nicht töten. Sie ist trächtig.«
Das war eine der Überzeugungen, die sein Volk mit den Tusci gemein hatte. Niemand durfte ein schwangeres Wesen töten. Auch deshalb war er seinerzeit so
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