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Die Söhne der Wölfin

Titel: Die Söhne der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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entsetzt gewesen, als sie geglaubt hatte, er sei beauftragt worden, sie umzubringen. Er beäugte die Wölfin mißtrauisch. Wenn sie trächtig war, dann konnte man das kaum erkennen. In jedem Fall sollte er das besser beurteilen können als das Stadtmädchen Larentia. Faustulus war versucht zu erklären, das verwünschte Biest sei nicht trächtig, und seinen Bogen zu holen. Aus der Nähe sollte es nicht schwer sein, das Herz zu treffen. Aber es bestand immer noch die Gefahr, daß die Wölfin im Todeskampf nach Larentia schnappte; außerdem konnte es durchaus sein, daß Larentia im Recht war. Und dann hätte er die Art Frevel begangen, die zu Totgeburten und Unfruchtbarkeit führte.
    Er seufzte und beschloß zu hoffen, daß das Tier seinem Instinkt folgen und so bald wie möglich aus der Nähe der Menschen verschwinden würde.

    In den drei folgenden Nächten schlief Faustulus nicht. Er wartete darauf, daß der Rest des Rudels auftauchte, um sein Vieh zu reißen, und hielt zwischen Schweinekoben und Kuhstall Wache. Dann wieder überwog die Sorge, die verletzte Wölfin könnte Larentia etwas antun, und er kehrte in sein Haus zurück. Wenn er die gelben Augen der Wölfin in der Dunkelheit glimmen sah, stellte sich jedes Haar an seinem Körper auf, und jeder Windstoß flüsterte ihm zu, daß es sich um einen uralten Todfeind handelte. Er konnte nicht verstehen, warum Larentia keine Spur von Angst vor dem Tier empfand, aber da er wegen ihres unvernünftigen Handelns wütend auf sie war, fragte er sie nicht danach. Gereizt und übermüdet, wie er war, sprach er nur das Allernötigste mit ihr und verwendete ausschließlich seine eigene Sprache. Schließlich gehörte sie nicht mehr zu den Tusci. Wenn er von Anfang an mit ihr in das Flußdorf gezogen wäre, dann hätte sie sich gewiß längst dort eingewöhnt und würde vor allem kein so seltsames Gebaren mehr an den Tag legen.
    Sie redete mit der Wölfin nahezu ohne Unterlaß. Nun schwatzte Faustulus durchaus manchmal ebenfalls mit den Tieren; jeder Hirte, jeder Bauer tat das, und niemand störte sich daran. Aber das waren nützliche Tiere, gute Tiere, die für Nahrung und Wärme sorgten. Keine Räuber in der Nacht.
    Es mußte an seiner Übermüdung liegen, aber ihm kam bei dem Anblick von Larentia, wie sie auf den graubraunen Eindringling einsprach, ein seltsamer Gedanke, den er nicht mehr loswurde. Die Tusci ordneten bestimmte Tiere bestimmten Göttern zu - nicht daß er wußte, welchen. Wenn seine Augen brannten und nach der Arbeit jeder Muskel in ihm schmerzte, dann bildete er sich ein, die Wölfin sei gar keine Wölfin, sondern eine Botin des Gottes, der Larentia geschwängert hatte. Vielleicht sogar der Gott selbst, und deshalb benahm sich Larentia so vertraut mit dem Tier.
    Dann wieder roch er den durchdringenden Wolfsgestank oder entdeckte, daß das elende Biest das Haus mit seinem Urin markiert hatte, und schalt sich töricht. Es war eine Wölfin, die seine Frau in ihrer Unerfahrenheit gesundpflegte.
    Als endlich der Tag anbrach, an dem die Wölfin im Morgengrauen humpelnd davonlief, war Faustulus erleichtert genug, um seinen eigenen Göttern aus tiefstem Herzen zu danken. Er vergaß nicht, darum zu bitten, das Tier möge weder allein noch mit seinem Rudel je zurückkehren, und fühlte sich in seiner Erleichterung großzügig genug, um wieder das Wort an Larentia zu richten. Nicht in der Sprache der Tusci allerdings.
    »Wir haben Glück gehabt«, brummte er. »Sehr viel Glück.«
    Larentia schüttelte den Kopf. »Nein«, entgegnete sie zögernd, aber mit den Worten, die er sie gelehrt hatte. » Sie hat Glück. Sie ist frei.«

    Als die Tage kaum merklich wieder länger wurden, überraschte Pompilius ihn mit einem Besuch. Er hatte seinen Sohn Numa mitgebracht, einen aufgeweckten Jungen von sechs Jahren, der jetzt schon kräftig aussah und später gewiß eine große Hilfe sein würde.
    »Hör zu«, meinte Pompilius, während er dankbar in den Käse biß, den Larentia ihnen gebracht hatte, und einen durchaus beifälligen Blick auf sie warf. »Aus der Sache mit Veij wird nichts. Da will sich keiner wegen ein paar Bauern wie uns mit Amulius anlegen. Wenn’s noch der alte König wäre...«
    »Amulius?« wiederholte Larentia, die bisher nicht gesprochen hatte.
    Pompilius zog die Augenbrauen hoch, und Faustulus biß sich verlegen auf die Lippen. Er hatte ihr vor der Sonnwendfeier erklärt, daß Frauen bei ihnen nur dann mit fremden Männern sprachen, wenn sie direkt

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