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Die Söhne der Wölfin

Titel: Die Söhne der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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wichtig für die Stadt war, durch einen Blitz zerstört wurde. Allerdings hatte er nie mit Tusci-Priestern verkehrt. Selbst unter den Kriegern hatte es geheißen, daß die Priester Blitze wenn auch nicht immer lenken, so doch lesen und für sich nutzen könnten.
    »Du bist keine Priesterin mehr«, sagte er zu sich selbst ebenso wie zu ihr, und Larentia lachte noch einmal.
    »Ich bin mehr«, entgegnete sie. »Ich bin auserwählt von den Göttern, und ich trage die Zukunft in mir. Von einem Blitz getroffen zu werden macht unsterblich, Faustulus. Soll ich Tin bitten, dich unsterblich zu machen, gleich hier und jetzt?«
    Etwas in ihm glaubte ihr und schrie ihm zu, er solle sie lassen und so weit von ihr fliehen, wie es möglich war. Inmitten der schwülen, gewittrigen Luft und des Donners aus der Ferne fröstelte ihn, und sie schien ihm nicht mehr menschlich zu sein. Dann fielen die ersten Regentropfen, und die Wirklichkeit holte ihn wieder ein. Sie war nur ein Mädchen, seine Frau, die ein Kind erwartete und offenbar vor sich selbst beschützt werden mußte.
    Mit ein paar Schritten war er bei ihr und hob sie ohne Umstände hoch. Noch immer konnte er sie mühelos tragen. Sowie er sie berührte, fiel die dämonische Aura von ihr ab, und sie wirkte nur noch wie ein mutwilliges Kind, das einem Spielkameraden Angst einjagen wollte. Doch Faustulus vergaß ihre Worte nie mehr. In den nächsten Monaten ließ ihn jedes Gewitter zuerst nach seiner Frau schauen, und jedesmal lächelte sie, wenn er dies tat.
    Mit dem Fortschreiten des Herbstes hörten ihre morgendlichen Brechanfälle auf. Ihre Schwangerschaft war nun nicht mehr zu übersehen, und das brachte Faustulus dazu, eines Abends zu fragen, wann das Kind eigentlich zu erwarten sei. Sie runzelte die Stirn, rechnete nach und kam schließlich auf das Ende des Winters oder den Anfang des Frühlings; genauer konnte sie es nicht sagen. Er enthielt sich der Bemerkung, daß ihre priesterliche Ausbildung offenbar einige Lücken aufwies, aber sie konnte wohl erahnen, was er dachte, denn sie erklärte etwas verlegen:
    »Die Priesterschaft der Uni ist für Schwangerschaft und Geburt zuständig.«
    Er gab keine Antwort, was sie wohl als Nichtbegreifen auffaßte.
    »Ich diente Turan.«
    »Nun«, meinte Faustulus friedfertig, »eure Göttinnen und Götter auseinanderzuhalten war nie leicht für mich. Aber ich habe öfter mitgeholfen, Kälber, Lämmer und Ferkel auf die Welt zu bringen. Du brauchst dir also keine Sorgen zu machen, ich weiß Bescheid, wenn es soweit ist.«
    »Ich bin keine trächtige Kuh!« gab sie heftig zurück und krümmte sich sofort.
    »Was ist denn?« fragte Faustulus besorgt.
    »Das Kind«, entgegnete Larentia, und ihr Ärger wich einem verwunderten Gesichtsausdruck. »Ich glaube, es hat mich gerade getreten.«
    Faustulus setzte sich auf und tastete mit den Händen vorsichtig ihren Bauch ab. Seiner Meinung nach hatte sie noch drei oder vier Monate vor sich, aber er konnte tatsächlich etwas spüren. Er legte seine Wange auf ihren Bauch und war sich sicher.
    »Ein Tritt wie ein Maulesel«, meinte er lächelnd, als er sich wieder neben sie sinken ließ.
    Nun war es an Larentia, sich über ihn zu beugen und ihn forschend zu mustern. Es sah so aus, als wolle sie etwas fragen, aber sie tat es nicht. Statt dessen rollte sie sich wieder zurück in ihre gewohnte Lage neben ihm. Erst nach einer Weile, als er kurz davor stand einzuschlafen, hörte er sie sprechen.
    »Meine Mutter«, sagte sie, »hatte drei Kinder und vier Fehlgeburten. Ich glaube nicht, daß mein Vater auch nur einmal das tat, was du gerade getan hast.« Verwirrt überlegte Faustulus, ob er sie verärgert hatte, als sie fortfuhr: »Der Anblick ihres schwangeren Körpers stieß ihn ab, und er betrat ihre Gemächer nicht mehr, bis sie ihr Kind zur Welt gebracht oder verloren hatte.«
    Es war das Vertraulichste, was sie ihm je erzählt hatte, und das Unverständlichste. Faustulus kannte Familien, in denen die vielen Kinder irgendwann mehr zum Fluch als zum Segen geworden waren, doch ein König der Tusci mußte sich keine Sorgen machen, wie er seine Würmer durch den nächsten Winter füttern sollte. Und eine schwangere Frau, die ihre Fruchtbarkeit bewiesen hatte, war eine begehrenswerte Frau. Er sagte jedoch nichts davon, weil er nicht glaubte, daß Larentia eine Antwort hören wollte. Doch er legte erneut seine Hand auf ihren Bauch und spürte die unregelmäßigen Bewegungen, als hätte sich ein Vogel in einem

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