Die Söhne der Wölfin
gleichzeitig schön und verstörend, so wie sie selbst. Er fragte sich, ob sie ein Zeichen von Heimweh waren. Dann wieder sagte er sich, daß sie ihre Familie und die Priesterschaft haßte, so wie sie über die Leute sprach, und keinen Grund hatte, sich nach der Vergangenheit zu sehnen. Und manchmal, wenn die nasse Kälte von draußen trotz aller Vorsichtsmaßnahmen in das Haus drang, zerbrach er sich den Kopf über den unbekannten Mann, ihren Liebhaber. Ihn mußte sie schließlich auch hassen, denn er hatte sie im Stich gelassen. Es sei denn... Es sei denn, sie hatte die ganze Zeit die Wahrheit gesagt, und es handelte sich wirklich um einen Gott. Inzwischen gab es Momente, in denen er durchaus bereit war, das zu glauben. Dann wieder schalt er sich töricht. Wer es auch immer gewesen war, er war fort, es war vorbei, und Larentia gehörte jetzt ihm. Die Kinder, die sie erwartete, würden die seinen sein.
Während er den süßen, eindringlichen Tönen zuhörte, begann er, ein Bett für die Kinder zu zimmern. Die wurmstichigen Dinger, die er in den anderen Hütten gefunden hatte, erschienen ihm mit einemmal nicht mehr gut genug. Dann kam ihm der Gedanke, daß die Kinder mehr als nur Stroh und Wolldecken benötigen würden. Der Winter konnte lange dauern, man sollte sich nie auf die rechtzeitige Ankunft des Frühlings verlassen. Er nahm sich vor, eine Wolfsfalle zu graben. Bisher waren zwar erfreulicherweise keine Wolfsspuren um seinen Hof zu finden gewesen, aber Pompilius hatte über zwei kürzlich gerissene Schafe geklagt, also ließ sich in den Wäldern um das Flußdorf herum gewiß etwas Brauchbares fangen. Ein Wolfspelz würde die Kinder wärmen.
Am kürzesten Tag des Jahres sperrte er die Kühe und Schweine in ihre Stallungen, schüttete ihnen Futter für den ganzen Tag auf und verkündete Larentia, sie wisse nun genug Worte, um an der Sonnwendfeier im Flußdorf teilnehmen zu können. Er unterließ es, darauf hinzuweisen, daß sie nicht mehr lange zu solch weiten Fußwegen imstande und dies ihre letzte Gelegenheit sein würde. Das schien ihr selbst klar zu sein, denn sie widersprach nicht und steckte sich die Haare hoch, was sie in all den Monaten noch nicht getan hatte.
»Ich hoffe, es gibt kein Gewitter«, sagte Faustulus und hätte sich gleich darauf am liebsten auf die Zunge gebissen, denn er erinnerte sich wieder an ihr Benehmen während eines längst vergangenen Spätsommersturms. Sie warf ihm einen raschen Blick zu und lächelte.
»Nein«, antwortete sie, »das wird es nicht.«
In der Tat wirkten die wenigen Wolken an dem kalten, klaren Winterhimmel nicht bedrohlich. Sie mußten öfter stehenbleiben, als Faustulus allein es getan hätte, aber das störte ihn nicht. Seine Besorgnis hielt zunächst mit seiner freudigen Erwartung Schritt und wurde schließlich immer geringer. Sogar die Überlegung, wie die anderen wohl auf Larentias unverkennbaren Tusci-Akzent reagieren würden, verlor ihre düsteren Farben. Sie hatten etwa ein Drittel des Wegs zurückgelegt, als Larentia ein weiteres Mal stehen blieb, und stöhnend in die Knie ging. Es war noch mindestens sieben Wochen zu früh für die Geburt, und Faustulus spürte aufflammendes Entsetzen, während er neben Larentia niederkniete.
»Es ist schon gut«, sagte sie mit zusammengebissenen Zähnen, griff nach seinen Armen und stützte sich auf ihn, um sich wieder zu erheben. »Das sind nicht die Wehen. Aber… ich glaube nicht... daß ich den ganzen Weg schaffe, und dann noch einmal zurück morgen früh.« Sie atmete jetzt etwas regelmäßiger, schnitt eine Grimasse und klopfte sich auf den Bauch. »Zuviel Gewicht.«
Faustulus hatte Pompilius versprochen zu kommen, von Marcus und Rufus ganz zu schweigen, und er hatte sich auf dieses Fest gefreut. Er konnte nicht so tun, als sei er nicht enttäuscht, doch er versuchte, der Angelegenheit das Beste abzugewinnen.
»Nun«, meinte er, »wenn die Kinder erst da sind, dann werde ich euch alle drei zeigen können.«
Sie warteten eine Weile, dann kehrten sie zu ihrem Hof und den Ruinen um ihn herum zurück. Wegen der Enttäuschung schien Faustulus der Weg länger als zuvor, aber er sagte nichts mehr. Er bemerkte, daß Larentia ein paarmal den Mund öffnete, wie um ein Gespräch zu beginnen, doch auch sie blieb stumm, bis sie in Sichtweite des Hofes gelangt waren. Dann drückte sie ihm die Hand und sagte: »Faustulus, geh du ruhig allein zum Flußdorf und feiere die Rückkehr der Sonne. Mir geht es schon viel besser,
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