Die Söhne der Wölfin
sein, oder glaubst du immer noch, daß ich deine Strafe bin?«
»Komm her«, sagte sie, und obwohl er bereits bedauerte, Gedanken ausgesprochen zu haben, die sich für einen Mann nicht ziemten, gehorchte er und kniete neben ihr nieder. Ihre Handund Fußgelenke waren angeschwollen, und man sah die blauen Adern an ihren Schläfen pochen, aber er fand sie immer noch sehr schön. Sie legte eine Hand an seine Wange, mit der anderen fuhr sie durch sein Haar, was sie noch nie getan hatte.
»Ich habe dir bereits gesagt, daß du ein guter Mann bist«, fuhr sie leise fort. »Aber ich bin keine gute Frau, Faustulus. Ich habe böse Träume, und was mir träumt, das werde ich wahrmachen, denn es geht dabei nicht nur um mich. Du«, sie schüttelte den Kopf und seufzte noch einmal, »du bist das einzig Gute, was mir im letzten Jahr geschehen ist.«
Er hörte, was er hören wollte; sie verachtete ihn nicht mehr, wie sie es anfangs getan hatte, sie war gern mit ihm zusammen, sie würdigte, was er alles für sie getan hatte. Was ihre Bemerkung anging, keine gute Frau zu sein, so betrachtete er sie als Reue, als Vorsatz, als Versprechen für die Zukunft. Wenn die Kinder erst auf der Welt waren und sie wieder als Mann und Frau miteinander schlafen konnten, dann würde auch dieser Teil ihrer Beziehung ins rechte Lot gerückt werden. Er neigte den Kopf ein wenig zur Seite, um sich noch besser der ungewohnten Zärtlichkeit zu überlassen.
Erst viel später fiel ihm auf, daß sie mit ihrer Entgegnung keine seiner beiden Fragen beantwortet hatte.
Als er sich erkundigte, was es eigentlich mit all den Zeichen, die sie mit Asche oder Holzkohle auf den Boden schrieb und wieder verwischte, auf sich hatte, versuchte sie ihm das Schreiben beizubringen. Es war nicht leicht, denn er verstand den Sinn nicht. Was wichtig war, behielten die Menschen seiner Meinung nach ohnehin in ihrem Gedächtnis, und wenn sie es vergessen wollten, dann konnten auch ein paar Zeichen, die für Laute gelten sollten, daran nichts ändern. Das erwiderte er, als sie meinte, seine Vereinbarungen mit Pompilius könnten auf diese Art viel sicherer sein. Wenn Pompilius plante, ihn zu betrügen, dann würden Zeichen ihn auch nicht aufhalten.
Aber es bereitete ihr Freude, und so gab er nach und versuchte, die Zeichen und ihre Bedeutung zu erlernen. Einmal fragte Faustulus sie, welcher Tusci sich diese Qual denn habe einfallen lassen, und sie lachte.
»Keiner«, antwortete sie. »Es waren die Griechen. Wir haben sie von ihnen übernommen.«
Er kannte die Griechen von Alba her, und hatte keine allzu hohe Meinung von ihnen. Sie waren noch mehr von sich eingenommen als die Tusci. Und den Gerüchten nach zu urteilen, wurden es immer mehr. Statt in ihrem eigenen Land zu bleiben, tauchten sie überall auf, sogar bei den Marsern unten im Süden, wie man erzählte, und gründeten Siedlungen. Von den Tusci beherrscht zu werden, daran hatte man sich gewöhnt, aber von Griechen? Außerdem verstand er nicht, warum man überhaupt das Meer überqueren mußte, das von den Göttern doch eindeutig zu dem Zweck geschaffen worden war, Menschen voneinander zu trennen, die nicht zusammengehörten.
»Um herauszufinden, was es am anderen Ufer gibt«, sagte Larentia, und ihre Augen glänzten. »Um zu lernen... Faustulus, die Griechen behaupten, daß es in Ägypten Tempel gibt, die älter als alles andere auf der Welt sind. So alt, daß die Ägypter ihre Saecula längst erfüllt haben müßten, und es gibt sie immer noch. Weißt du, was das bedeutet?«
Er erinnerte sich an die Sache mit den Saecula, aber er hatte noch nie von Ägypten oder den Ägyptern gehört, und er verstand ihre Begeisterung über Menschen, die sie nie gesehen hatte und nie sehen würde, so wenig wie den Grund, warum sie darauf beharrte, zu »schreiben« und es dann gleich wieder zu verwischen. Doch er begriff, daß sie etwas mit ihm teilen wollte. Er tat sein Bestes. Wenn die Kinder erst da waren, würde sie ohnehin andere Dinge im Kopf haben.
Zu der Zeit, da sie täglich mit der Niederkunft rechneten, kehrte die verwünschte Wölfin zurück, unübersehbar trächtig diesmal und offenbar selbst kurz davor, zu werfen. Larentia schüttete etwas Stroh in der Hütte, die von den übrigen Tieren am weitesten entfernt war, zurecht und begann wieder damit, auf das Tier einzureden. Faustulus versuchte es mit ihrer vergleichbaren Lage zu erklären, aber die Kühe waren nach dem Decken durch Pompilius’ Bullen nun ebenfalls
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