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Die Söhne der Wölfin

Titel: Die Söhne der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Ihre Mundwinkel zuckten, als wolle auch sie lächeln, aber in ihre Stirn gruben sich Falten, und sie starrte verwirrt auf die beiden Säuglinge herab.
    »Faustulus«, sagte Larentia, und klang selbst wie ein Kind, »Faustulus, ich glaube, ich habe keine Milch.«

    Manchmal war Faustulus sicher, daß Larentia ihre Götter beleidigt haben mußte . Als die Nachgeburt erst da war, fiel sie in einen fiebrigen Schlaf. Er vergrub die Nachgeburt, wie es sich gehörte, vor der Schwelle, dann holte er etwas Kuhmilch, um sie den Kleinen einzuflößen, doch er hatte nicht die geringste Ahnung, wie er das anstellen sollte. Nach einigem Überlegen tunkte er einen Finger in die Milch und hielt sie dem schmächtigeren der beiden hin. Er hatte nicht viel Erfolg damit. Gewiß, der Mund des Kindes schloß sich um seinen Finger, aber nicht lange, und es machte spuckende Bewegungen, statt das bißchen Milch abzulecken. Mit dem anderen Jungen ging es nicht besser. Zum Glück hatten sie wenigstens aufgehört zu schreien. Faustulus beschloß, auf eine weitere Eingebung zu warten und inzwischen das Haus ein wenig zu säubern. Larentia blutete noch etwas, aber zum Glück nicht so stark, daß es gefährlich aussah. Sie murmelte im Schlaf, doch er verstand es nicht. Die alten Geschichten von untreuen Frauen, die den Namen ihrer Liebhaber im Schlaf riefen, konnten nicht stimmen; es war unmöglich, einen Namen oder ein Wort auszumachen, wenn Larentia schlief. Bei dem Gedanken hielt Faustulus, der mit einem feuchten Lappen Larentias Beine säuberte, inne. Warum kam ihm so etwas in den Sinn? Sie war keine untreue Frau. Ihr altes Leben war vorbei, und hier war sie sein Weib, und das waren seine Kinder.
    Er ließ den Lappen sinken, rutschte auf den Knien etwas weiter vor, tastete ihre Brüste ab, die prall waren wie bei allen jungen Müttern, und übte vorsichtig Druck auf die dunkelroten Brustwarzen aus. Nichts, da hatte sie recht. Aber vielleicht genügte das nicht, und es war auch nicht die richtige Methode. Er zögerte, dann gab er dem Impuls nach und nahm die rechte Brustwarze zwischen seine Lippen, tat, was er nicht getan hatte, solange seine Erinnerung zurückreichte. Er schmeckte den salzigen Geschmack ihrer Haut, spürte die etwas zu starke Wärme, aber die Milch, die sie ihren Kindern geben mußte, blieb aus. Dennoch ließ er nicht ab. Er leckte den Vorhof, zeichnete die Form ihrer Brüste mit seiner Zunge nach und wußte selbst nicht, warum er es tat. Ganz gewiß war er nicht so verrückt, ausgerechnet jetzt, wo der Geruch des Kindbetts im Raum hing und etwas von ihrem Blut noch unter seinen Fingernägeln klebte, Begierde zu empfinden. Es mußte die Erschöpfung sein. Er fühlte sich, als habe er die Kinder mit zur Welt gebracht, und warum auch nicht? Im Grunde hatte er das getan. Ihm war, als sei er das Kind, das zurück in den Leib seiner Mutter wollte. Er ließ den Kopf zwischen ihre Brüste sinken. Es war ein gutes Gefühl. Beruhigend. Es legte sich um die Sorge wegen der Kinder wie weiche, dichte Wolle und schützte ihn sogar vor der namenlosen Furcht, die ihn ergriffen hatte, seit sie ihren Namen nicht mehr erkannte. Halb neben ihr kniend, halb auf ihr liegend, schlief er schließlich ein.

    Der kühle Luftzug war das erste, was in sein Bewußtsein drang. Ich muß die Tür offengelassen haben, dachte Faustulus und öffnete die Augen, bevor ihm auffiel, daß sein Nacken steif war und er ganz und gar unnatürlich dalag, mit verdrehtem Hals und verrenktem Oberkörper. Etwas stimmte ganz und gar nicht, und es war nicht der schweißdurchtränkte Stoff unter seiner Wange oder die in der Tat offenstehende Tür. Dann fiel ihm ein, wie er eingeschlafen war, und er schrak hoch. Larentia lag nicht neben ihm. Das Lager war leer. Er stolperte zu der Wiege für die Kinder und fand keine Spur von ihnen. Der Schlaf hielt ihn noch etwas umfangen, so daß er einen Moment lang glaubte, der boshafte Gott, der Larentias Knaben gezeugt hatte, habe sie nun wieder zu sich genommen, gemeinsam mit ihrer Mutter. Sein zweiter Gedanke war etwas vernünftiger, aber nicht sehr. Larentia hatte es sich in ihrem Fieber mitten in der Nacht in den Kopf gesetzt, mit den Kindern zu flüchten. Was hatte sie über die Wölfin gesagt? Sie ist frei.
    Die Wölfin.
    Plötzlich wußte er, was Larentia getan hatte. Er stürzte aus dem Haus und rannte zu der halbzerstörten Hütte, in der die Wölfin sich verkrochen hatte, um ihre Jungen zu werfen. Erst dort kam ihm in den Sinn,

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