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Die Söhne der Wölfin

Titel: Die Söhne der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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trächtig, und Larentia zeigte dennoch keinerlei Anteilnahme für sie.
    Es kam noch schlimmer. Als er die Felder um das Dorf prüfte, jetzt, wo die Tage allmählich wieder wärmer wurden, kam sie hinter ihm hergelaufen und verlangte, er solle zurückkehren, schließlich habe er ja behauptet, Erfahrung mit Tieren zu haben, die würfen.
    »Wilde Tiere brauchen da keine Hilfe«, murrte Faustulus. Da er befürchtete, sie könne in ihrem aufgeregten Zustand selbst an Ort und Stelle niederkommen, folgte er ihr trotzdem. Natürlich ließ ihn die Wölfin nicht an sich heran, aber Larentia hielt seine Hand, während sie dem Tier zuschauten, wie es seine blinden kleinen Welpen ableckte. Alles Räuber, vor denen sie die nützlichen Tiere später würden schützen müssen, doch Faustulus unterdrückte die Bemerkung und war es zufrieden, Larentias Händedruck zu erwidern.
    Ihre Wehen setzten zwei Tage später ein. Er hatte erwogen, Pompilia oder eine andere Frau aus dem Flußdorf um Hilfe zu bitten, den Gedanken aber wieder fallengelassen. Er wußte, was zu tun war. Diese feste Überzeugung, die in all den Monaten von Larentias Schwangerschaft nicht gewankt hatte, überdauerte nicht einmal zwei Stunden ihrer Wehen, die sich über die zweite Hälfte des Tages und bis in die Nacht hineinzogen. Vor allem anderen wurde ihm klar, daß die Sprachlosigkeit von Tieren ein Segen war. Ab der dritten Stunde verfluchte Larentia ihren Vater, ihren Onkel, die Hohepriesterin Fasti, Faustulus und sich selbst. Zwischen der vierten und fünften dehnte sie ihre Verwünschungen auf alle Männer aus, und in der sechsten wäre er sogar froh gewesen, sie die Götter verwünschen zu hören, aber ihre rissigen, aufgesprungenen Lippen formulierten keine Worte mehr, sie keuchte nur noch, und ihre Haut hatte einen beunruhigend grauen Ton angenommen. Sie schien ihn auch nicht mehr zu verstehen; wenn er sie ansprach, und sei es nur, um sie zu bitten, ihren Kopf zu heben, damit er ihr etwas zu trinken einflößen konnte, reagierte sie nicht, bis sie die Schale tatsächlich sah.
    Als es soweit war, das erste der Kinder aus ihrem Körper zu ziehen, fragte er sich, wie er nur je hatte glauben können, daß es so einfach sein würde wie bei einer Kuh oder einem Schaf. Dann hielt er das kleine, glitschige Geschöpf in seinen Händen, verschmiert mit Blut und weißem Schaum, sah, wie es, kaum daß es auf der Welt war, brüllte wie am Spieß, und etwas in Faustulus schmolz. Er begann zu weinen. Die Tränen waren so neu, so wunderbar für ihn wie das kleine Wesen. Sein Sohn.
    »Sieh doch nur«, rief er hingerissen, doch Larentia bäumte sich erneut auf. Für einen Moment hatte er vergessen, daß es zwei Kinder waren, hatte alles vergessen bis auf den Sohn in seinen Händen. Schuldbewußt durchtrennte er die Nabelschnur, tauchte den Jungen behutsam in einen der Wasserkübel, die er am Morgen in das Haus geschleppt hatte, und wickelte ihn danach rasch in das Tuch, das dafür bereit lag. Der Kleine protestierte lauthals dagegen, in das von Faustulus gezimmerte Bett gelegt zu werden, und seine Schreie mischten sich mit Larentias Keuchen, als das zweite Kind zur Welt kam. Es erschien Faustulus schmächtiger als das erste, aber es schrie genauso laut, und er konnte nicht aufhören zu weinen, während er es badete und zu dem anderen legte.
    »Larentia«, schluchzte er und wischte sich die Tränen aus den Augen, »es sind zwei Jungen.«
    Ihre Pupillen hatten sich so sehr geweitet, daß ihre braunen Augen ihm schwarz erschienen. Als ihre Lippen sich bewegten, beugte er sich über sie, um sie verstehen zu können. Er erwartete, daß sie ihn bitten würde, ihr die Kinder an die Brust zu legen, und was sie statt dessen sagte, drang erst nach einer Weile wirklich zu ihm durch.
    »Das ist nicht mein Name«, wisperte sie, kaum hörbar durch das Geschrei der Kinder. »Ich bin nicht Larentia.«
    Er hatte seit Stunden nicht mehr die Tür geöffnet. Es war heiß und stickig, der Geruch von Blut und Schweiß klebte an ihm, und dennoch spürte er, wie die Kälte an seinem Rücken emporkroch. Er wußte, daß es Menschen gab, die den Verstand verloren. Von den Göttern berührt, nannte man es. Nicht sie, dachte Faustulus und betete inbrünstig, bitte nicht sie.
    Ihr Blick wurde ziellos und schweifte im Raum umher.
    »Die Kinder? Wo?«
    Das waren zumindest vernünftige Fragen. Vor Erleichterung seufzte er auf und holte ihr die beiden Jungen, legte einen an jede Brust und lächelte sie an.

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