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Die Söhne der Wölfin

Titel: Die Söhne der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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es auf und murmelte kleine, beruhigende, sinnlose Laute, während der andere Zwilling nun seinerseits erheblich lauter in das Gejammer einfiel.
    »Faustulus«, sagte Larentia mit einer Spur von Ungeduld, als säßen sie gemeinsam in ihrem Heim, als habe sie nichts von dem Wahnsinn ausgesprochen, den er gerade eben gehört hatte, »du hast versprochen, dich um sie zu kümmern.«
    Ehe er sich versah, lag eines der Kinder in seinen Armen, und sie befanden sich auf dem Rückweg. Sogar die Wasserstreifen auf Larentias Wangen trockneten so schnell, daß er nicht mehr sicher sein konnte, sich das Ganze nur eingebildet zu haben. Plötzlich fragte er sich, ob er nicht derjenige war, der sich auf dem Weg in den Wahnsinn befand.
    An diesem Abend, als die Kinder endlich schliefen, geschah, worauf Faustulus im Innersten gehofft hatte, seit er das fremde, einsame Mädchen in Alba zum ersten Mal erblickt hatte. Sie kam zu ihm, von sich aus, und keineswegs, um zu schlafen. Es war völlig anders als all die Male, die er sie in Besitz genommen hatte, und das nicht nur, weil ihr Körper sich nach der Geburt verändert hatte. Er erinnerte sich, als Junge einmal im Fluß in einen neugierigen Fischschwarm geraten zu sein, die an seinen Körperhaaren zupften und immerzu an seiner Haut entlangglitten. Ihre Lippen, endlich willig auf seine gepreßt, schmeckten ein wenig nach Honig, und er fragte sich einen Moment lang, woher dieser stammen könnte, ehe er sich wieder in ihr verlor.

    Die Kühle des Morgens brach zusammen mit der Bitterkeit der Erkenntnis über ihn herein. Als er sich allein auf seinem Lager wiederfand, wußte er, was geschehen war. Er hatte es wohl schon lange gewußt, noch vor der Zeremonie, doch sich der Wahrheit zu verweigern war niemals nur ihr Vorrecht gewesen. Während er sich aufsetzte, fiel sein Blick auf das Bett, das er für die Zwillinge gebaut hatte. Sie lagen dort, alle beide; Remus bewegte einen seiner Arme, aber er schlief noch, genau wie sein Bruder. Zerstreut fragte er sich, ob die verdammte Wölfin ihr wohl gefolgt war.
    Im Gegensatz zu dem jäh aufgeflammten und ebenso plötzlich erloschenen Zorn von gestern erfüllte Faustulus nur noch eine Art dumpfe Betäubung, kalt wie die Asche in der Feuerstelle. Wie die Asche auf dem Boden vor der Feuerstelle.... Ihm wurde bewußt, daß sie ihm nicht nur ihre Kinder, sondern auch einige ihrer Schriftzeichen hinterlassen hatte. Er war versucht, sie auf der Stelle zu verwischen... irgend etwas zu tun, das er von sich erwartete. Aber das würde bedeuteten, den sicheren Mantel der Empfindungslosigkeit abzuwerfen. Nun, er hatte sich gelegentlich gewünscht, sie verstehen zu können. Niemand sollte behaupten, daß die Götter keine Wünsche erfüllten. Nun verstand er genau, was sie als seine Frau gefühlt hatte.
    Schwerfällig wie ein alter Mann stand er auf und beugte sich über die Zeichen. Es dauerte eine Weile, aber schließlich reimte er sich die Bedeutung zusammen. Es war keine lange Botschaft. Sie hatte einfach geschrieben: Ich werde zurückkehren .
    Seine sichere, schützende Betäubung bekam einen Riß, und das erste Anzeichen von Haß flammte auf. Er hätte nie gedacht, daß sie so grausam sein konnte. Sie hätte das nicht schreiben sollen. Es gab ihm keinen Frieden und war noch nicht einmal ein Versprechen, denn er wußte nicht, was sie meinte: zurückkehren zu den Tusci - oder zurückkehren zu ihm?
    Dann begann eines der Kinder zu brüllen, und Faustulus raffte sich auf, um die Kuh zu melken.

II
    DER WEG
    An jedem neunten Tag saß der König zu Gericht, und es war dem Volk gestattet, mit jeglichen Beschwerden vor ihn zu treten. Für die Familie des Königs war es in erster Linie ein Tag, um ihre Geduld zu prüfen. Zumindest dachte das Antho, Arnths Tochter, die sich nach den Zeiten zurücksehnte, als ihre Base Ilian ihr bei solchen Gelegenheiten Gesellschaft geleistet hatte. Ilian war durch ihre priesterlichen Pflichten an das lange Stehen gewöhnt und hatte der jüngeren Antho immer durch den Gerichtstag geholfen. Jetzt war von der königlichen Familie nur noch Antho übriggeblieben, denn die derzeitige Konkubine ihres Vaters zählte bei solchen Gelegenheiten nicht. Sie konnte, dachte Antho neidvoll, in ihren Räumen bleiben und sich pflegen lassen, statt von dem Gestank der Menge beinahe überwältigt zu werden.
    So gern sie an ihre Base zurückdachte, so beharrlich vermied es Antho, sich an ihre Vettern zu erinnern, die zwar am Leben waren, aber in ihrem

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