Die Söhne der Wölfin
Fasti durchsetzt, daß sie mich als Novizin akzeptiert, wird daraus nie etwas.«
Ilians Mundwinkel zuckten, und einen Moment lang dachte Antho, sie würde in Gelächter ausbrechen, aber dazu paßte der Ausdruck ihrer Augen nicht. Ilians haselnußbraune Augen hatten für Antho immer etwas Schelmisches gehabt, wenn sie nicht gerade Fasti bei einem Ritus assistierte, aber nun waren die tanzenden Funken in ihnen verschwunden und hatten der kalten Härte eines gutpolierten Bronzespiegels Platz gemacht.
»Ich weiß nicht, warum mich irgend etwas, das dein Vater tut, noch überrascht, aber ich unterschätze ihn eben immer wieder. Wenn es dich beruhigt: Allein dadurch, daß du mit mir sprichst, und das ohne jede Abwehrmaßnahme, hast du deine Priesterinnenweihe so gut wie unmöglich gemacht. Falls Fasti deinem Vater je nachgibt, kannst du es ja erwähnen. Aber warte damit, bis sie mich deswegen nicht mehr umbringen kann.«
Antho wußte, daß man mit gebannten Personen, denen sogar ihr Name genommen worden war, nicht reden durfte, aber diese Regel war ihr immer nur als eine aus einer ganzen Reihe törichter Vorschriften erschienen. Warum auf dergleichen achten, wenn es soviel unterhaltsamere Dinge im Leben gab? Das Wissen, daß ihre Begegnung mit Ilian Gefahr mit sich brachte, verschaffte ihr sogar ein angenehmes Prickeln. Nur die Bitterkeit, die in Ilians Worten unter dem trockenen Spott lauerte, störte sie. Der unangenehme Gedanke kam ihr, daß am Ende nicht nur Ilian in Gefahr schwebte. Plötzlich sah sie sich an Ilians Stelle, in Schande verbannt. Und, so wie Ilian heute ausschaute, auch noch in Armut. Ungeduldig schob sie den störenden Einfall und das ziehende Gefühl in der Magengrube, das er verursachte, weit von sich. Ihr Vater war der König, und er liebte sie. Er würde nie zulassen, daß ihr die Priesterschaft wegen einiger dummer Regelbrüche das Leben ruinierte. Nein, er würde sie höchstens schelten, aber schlimmer konnte es nicht kommen. Eher besser, denn Ilian hatte recht; bei günstiger Gelegenheit würde sie Fasti mit einem Geständnis der heutigen Begegnung entsetzen und sich ein Leben im Tempel ersparen.
»Hör zu«, sagte Ilian unterdessen und riß Antho aus ihren Überlegungen, »ich kann nicht lange bleiben. Wegen des Gerichtstags ist der Palast so leer wie sonst nie, deswegen bin ich heute gekommen. Aber wir haben trotzdem bisher unerhörtes Glück gehabt, und ich möchte es nicht zu sehr auf die Probe stellen. Du mußt mir helfen.«
»Und wie?« fragte Antho, die nicht wußte, ob sie enttäuscht oder erleichtert sein sollte, daß ihr gefährliches Geheimnis keine längeren Aufenthaltspläne hegte.
»Ich brauche Schmuck und anständige Kleider«, erwiderte Ilian knapp.
Das fand Antho durchaus verständlich, aber ihr gesunder Menschenverstand ließ sie einwenden, man würde Ilian doch viel eher erkennen, wenn sie wieder wie eine Edle der Rasna ausgestattet war. Ilian machte eine wegwerfende Handbewegung, und die Heiterkeit, mit der sie diesmal antwortete, erreichte auch ihre Augen und gab ihr etwas von der Unbekümmertheit zurück, die sie früher einmal besessen hatte.
»Oh, ich habe nicht die Absicht, mich hier umzukleiden, Liebes. Bevor ich das tue, will ich ein gründliches Bad nehmen, und dazu fehlt uns hier leider die Zeit.«
Etwas ernster fuhr sie fort: »Ich brauche den Schmuck auch hauptsächlich zu dem Zweck, ihn bei Bedarf zu veräußern, und nicht, um ihn zu tragen.«
»Veräußern?« rief Antho entsetzt aus. »Ilian, dann kann ich dir aber die Bernsteinkette nicht geben, und auch nicht die Silberohrringe mit den Türkisen. Ich dachte, du wolltest sie dir nur leihen.«
Jeglicher Anflug von Erheiterung war verschwunden, als sich die Hand ihrer Base jäh um Anthos Unterarm legte. Der feste Griff tat ihr weh, und sie spürte die rauh gewordene Haut. Verstört blickte sie auf ihren Arm und sah, daß Ilians Nägel allesamt eingerissen waren und sich Schmutz, der sich durch ein Bad allein nicht mehr würde entfernen lassen, in jede Hautrille gefressen hatte.
»Ja«, sagte Ilian, die ihrem Blick gefolgt war, kalt, »sie ist schmutzig. Weißt du, was ich während der letzten Monate getan habe, Antho? Ich habe gearbeitet wie eine Sklavin. Es war sehr aufschlußreich und hat mich vieles gelehrt, aber ich finde, es ist an der Zeit, daß ich dafür entlohnt werde.«
So hatte sich Antho ihr heimliches Treffen nicht vorgestellt. Ilian sollte ihr aufregende Geschichten über ihren
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