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Die Söhne der Wölfin

Titel: Die Söhne der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Zustand und als Sklaven gewiß nie nach Alba zurückkehren würden, und ihrem Onkel Numitor trauerte sie gewiß nicht nach. Ihr Vater war der bessere König, das stand fest, und die Götter hatten sich auf seine Seite gestellt. Nur die Sache mit Ilian bedrückte sie manchmal, nicht zuletzt, weil sie Ilian besser gekannt hatte als Onkel und Vettern und weil sie den Verdacht hegte, daß ihr Vater sie nun an Ilians Stelle im Tempel der Turan unterbringen wollte. Jedenfalls hatte Fasti, die alte Schachtel, Antho bei ihrem letzten Besuch im Palast scharf ins Auge gefaßt und danach verächtlich geschnaubt.
    Antho war nicht dumm; eine Novizin zu werden würde ihr irgendwann die Aussicht auf Fastis Amt eröffnen, und eine Verbündete im Tempel war für ihren Vater wichtig. Sie begriff die Gründe sehr wohl. Aber es schauderte sie vor der Aussicht, Priesterin zu werden. Nichts als Zeremonien, und wenn man endlich bei einem Mann liegen durfte, dann war auch das eine Zeremonie und mußte nach verstaubten Regel ablaufen. Es war noch nicht einmal gestattet, dem Mann sein Gesicht zu zeigen, nein, es mußte hinter einer Maske verborgen werden, um wirklich jedem klarzumachen, daß es die Göttin war, die sich hingab, nicht die Frau. Kein Wunder, daß Ilian von dieser Aussicht nichts gehalten und sich einen Liebhaber genommen hatte. Nur ihre Wahl war außergewöhnlich. Ein Latiner? Einer der Barbaren aus dem Hinterland mit Mist zwischen den Zehn? Nun ja, dachte Antho und starrte in die Menge, einige von ihnen sehen zumindest nicht übel aus . Sie stellte sich Ilians Liebhaber hoch gewachsen vor, muskulös, mit breiten Schultern und schmalen Hüften, wie einen der Ringer, die gestern abend zur Unterhaltung des Königs und seiner Gäste gekämpft hatten. Ihre Gedanken glitten in einen angenehmen Tagtraum hinüber, in dem sie sich an Ilians Stelle versetzte und von einem Barbaren auf sein Lager geworfen wurde, bis ein lautes Wehklagen sie grob in die Wirklichkeit zurückriß.
    Irritiert blickte Antho in die Richtung, aus der der Lärm kam, und stellte fest, daß vor ihrem Vater gerade eine alte Frau stand, die über irgendwelche Unregelmäßigkeiten mit der Erbschaft ihres verstorbenen Mannes lamentierte. Niemand war so laut wie ein altes Weib, dachte Antho ärgerlich und versuchte sich in ihren Tagtraum zurückzuversetzen, aber die Stimmung ließ sich nicht wiederherstellen. Wie hielt ihr Vater das Gejaule nur aus? Er saß nun schon seit zwei Stunden da, die königliche zweischneidige Streitaxt als Zeichen seines Amtes zwischen den Beinen, und nur die Schweißperlen auf seiner bloßen rechten Schulter und auf seiner Stirn verrieten etwas von Anspannung. Nun ja, er saß immerhin. Antho dagegen mußte, genauso wie die königlichen Beamten und das hagere Ding, diese Novizin, die Fasti geschickt hatte, um an Ilians Stelle den Tempel zu repräsentieren, stehen. Vorsichtig verlagerte sie ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen und blickte wieder in die Menge, auf der Suche nach etwas, das unterhaltsamer war als die langweiligen Gerichtsfälle.
    Als sie den Hals ein wenig reckte, um auch die Menschen weiter hinten zu begutachten, fuhr sie zusammen. Zuerst glaubte Antho, sie bilde sich etwas ein, weil sie an diesem Tag schon mehrfach an Ilian gedacht hatte. Aber nein, am Rande ihres Gesichtsfeldes, gekleidet wie eine Bäuerin und sogar mit einem Weidenkorb beladen, doch mit der gewohnten Arroganz in Haltung und Gesicht, stand Ilian.
    Sie mußte verrückt sein. Sie war nicht nur verbannt worden, wie ihr Vater und ihre Brüder; eigentlich existierte sie gar nicht mehr. Selbst die Götter würden sie nicht mehr finden können, wenn sie starb, namenlos, wie sie nun war, als Strafe für ihre Blasphemie. Antho warf einen verstörten Blick zu ihrem Vater hinüber, der voll und ganz mit seiner jammernden Klägerin beschäftigt war und nicht erkennen ließ, daß ihn irgend etwas beunruhigte. Was die Beamten um ihn herum betraf, alle machten sie die gleiche gelangweilte Miene. Konnte es wirklich sein, daß außer ihr niemand Ilian erkannte?
    Vielleicht, dachte Antho und fröstelte plötzlich, ist sie ein Geist, und nur ich kann sie sehen. Vielleicht ist sie bei der Geburt ihres Kindes gestorben, und jetzt kommt sie zurück, um uns heimzusuchen, weil Vater sie verbannt hat.
    Sie zerbrach sich den Kopf, was sie nun tun sollte. Wenn Ilian kein Geist war, dann würde man sie dafür töten, daß sie sich hier blicken ließ. Antho wünschte Ilian nicht

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