Die Söhne der Wölfin
latinischen Liebhaber erzählen und dankbar dafür sein, daß sich Antho um keine Verbannungsregeln scherte, jedoch nicht in einem anklagenden Ton unmögliche Forderungen stellen.
»Es ist doch nicht meine Schuld, daß du dein Gelübde gebrochen hast«, entgegnete sie verärgert. »Du hast dir das alles selbst eingebrockt. Und die Götter da mit reinzuziehen, das hat alles noch viel schlimmer gemacht. Du solltest froh sein, daß Vater darauf bestanden hat, daß dein Barbar dich heiratet. Und hat er dir nicht auch noch eine Mitgift gegeben?«
Ilians andere Hand legte sich um Anthos Schulter, mit dem gleichen harten, schmerzhaften Griff. Plötzlich wurde Antho bewußt, daß Ilian größer war als sie und auch stärker. Aber gewiß, sagte sie sich, würde Ilian, die ihr nie etwas Schlimmeres getan hatte, als sie an den Haaren zu ziehen, ihr nie weh tun. Wirklich weh tun. Gewiß nicht. Ihre Kehle fühlte sich trocken an, und sie schluckte.
»Hör zu, Talitha«, sagte Ilian sehr leise, und es wirkte furchteinflößender, als es ein Schreien getan hätte. Daß sie den Kosenamen verwendete, mit dem ihr Vater, der König, seine Tochter gelegentlich anredete, beruhigte Antho nicht im geringsten.
»Alles, was dein Vater über meine Schwangerschaft erzählt hat, war eine Lüge. Alles, was Fasti dir und der ganzen Welt darüber erzählt hat, war eine Lüge. Und sie wußten es beide. Ich habe mein Gelübde nicht gebrochen, um mir einen Liebhaber zu nehmen, ich habe es für die Götter getan, und um wenigstens zu versuchen, das Gleichgewicht in dieser Stadt wiederherzustellen. Aber weißt du, ich glaube, meine Zeit als Werkzeug des Schicksals ist vorbei. Ich bin schicksalsfrei, und das gibt mir das Recht, mir ein neues Schicksal zu suchen. Und du wirst mir dabei helfen, Kleines. Glaub mir, das ist besser für uns alle.«
»Und wenn ich nicht will?« fragte Antho störrisch und doch wider Willen verängstigt. Ilian so nahe bei sich zu spüren ließ sie den Geruch nach Schweiß, altem Rauch und Stall wahrnehmen, den ihre Base verbreitete, und das machte Ilian noch fremdartiger.
»Dann werde ich dir erzählen, welcher Gott mir beigewohnt hat.«
Es war eine eigenartige Drohung; warum, dachte Antho, sollte sie sich vor einer solchen Eröffnung fürchten? Andererseits sagte Ilian dergleichen gewiß nicht ohne Grund. Antho zu verraten, was sie sonst jedem verschwiegen hatte, würde ihr keinen Gewinn einbringen. Warum hielt sie eine solche Enthüllung für eine wirkungsvollere Einschüchterung als die Androhung von Gewalt?
Verwirrt meinte Antho: »Ich verstehe dich nicht. Warum bist du so gemein zu mir? Ich will dir doch helfen. Es ist nur, weil ich so schnell keinen neuen Schmuck bekommen werde, wenn du ihn weggibst. Gegen was willst du ihn denn eintauschen? Ich kann dir doch geben, was du möchtest.«
Ilians Griff lockerte sich ein wenig, aber sie rührte sich nicht von der Stelle. Ihr Blick wanderte forschend über Anthos Gesicht, und Antho biß sich auf die Lippen. Der letzte Mensch, der sie so prüfend gemustert hatte, als wolle er ihr die Haut vom Fleisch schälen, war ihr Vater gewesen, nachdem Fasti ihm eröffnet hatte, die Edle Antho eigne sich nicht zur Priesterin.
»Ich wünschte, du könntest es«, sagte Ilian, seufzte und klang nun wieder freundlicher, »das wünschte ich wirklich. Aber du kannst es nicht. Gib mir, worum ich dich gebeten habe, Antho, und ich werde dich segnen, solange ich lebe.«
Das ungebärdige Kind in Antho ließ sie um ein Haar antworten, sie wolle doch lieber den Namen des wahren Vaters von Ilians Kind erfahren. Ein anderer Teil von ihr begriff, daß Ilian jedes Wort, das sie heute gesagt hatte, ob drohend oder wohlgesonnen, ernst meinte. Ihr zu helfen würde nicht mehr nur ein Kinderstreich sein. Aber hatte sich Antho nicht immer gewünscht, als Frau behandelt zu werden?
Sie schluckte noch einmal, dann gab sie nach. »Gut. Ich gebe dir den Schmuck und die Kleider. Aber«, konnte sie sich nicht verkneifen hinzuzufügen, »du mußt mir schwören, daß du mir dafür etwas ebenso Schönes schenkst, wenn es dir wieder besser geht. Und ein priesterlicher Segen genügt nicht!«
Ilian löste ihre linke Hand von Anthos Schulter und schwor. Erst nachdem ihre Base längst wieder mit einem beträchtlichen Bündel beladen verschwunden war, kam es Antho in den Sinn, daß der Schwur einer Namenlosen vor den Göttern nicht existierte. Es brachte einen Anflug von Unwohlsein in ihr Herz zurück, doch sie
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