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Die Söhne der Wölfin

Titel: Die Söhne der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Menschenverstand geerbt, der den alten Mann erst soweit gebracht hatte. Mit dem Schwert umgehen konnte er zwar, doch nicht gut genug, um damit seine eigene Familie zu ernähren. Und darin lag der Kern des Problems. Er hatte bereits eine Frau und zwei kleine Kinder. Ein Beutezug mochte sich auszahlen oder auch nicht, aber die Aussicht, als Gefangener oder tot zu enden und seine Kinder samt ihrer Mutter als bessere Diener bei seinem geizigen Schnösel von einem Bruder zu sehen, war Abschreckung genug, um auf andere Möglichkeiten zu sinnen. Auf eigene Kosten zu handeln und selbst Geschäfte abzuschließen mochte einen Abstieg bedeuten, aber für ihn klang es erheblich verheißungsvoller, als schnell und ehrenvoll als Mann von Adel zu sterben. Zudem lag der Handel ihm im Blut, und wie es hieß, glich das Land auf der anderen Seite des Tyrrhenischen Meeres einem reichen Garten, der nur darauf wartete, abgeerntet zu werden. Mit dieser Aussicht begeisterte er auch einige seiner Freunde, die wie er lieber auf eigenen Füßen stehen als in untergeordneter Stellung bei ihren Familien bleiben wollten. Den Rest der Mannschaft anzuheuern fiel ihm ebenfalls nicht schwer, nachdem er erst einmal seinem Bruder sein Erbteil abgerungen hatte.
    Zu diesem Erbteil auch Laios hinzuzurechnen, der als blutjunger Knabe von ihrem Großvater erworben und angelernt worden war, hatte Arion für gerissen und vorausblickend gehalten. Wie sollte er ahnen, daß sich Laios so wenig hilfsbereit verhalten würde? Weit davon entfernt, dankbar für die Gelegenheit zu sein, nahm Laios, der gehofft hatte, seinen glücklich erreichten Lebensabend im sonnigen Korinth verbringen zu dürfen, Arion alles übel und weigerte sich, mehr als nur das Allernotwendigste zu tun. Wäre Laios ein junger Mann gewesen, hätte Arion ihn schon längst geprügelt, doch Laios hatte geholfen, ihn zu erziehen, und Arion brachte es nicht über sich, gegen ihn die Hand zu erheben.
    Also blieb ihm vorerst nichts anderes übrig, als seine enttäuschten Hoffnungen in einer der Hafenschenken von Fregenae zu ertränken. Anfangs begleitete ihn noch einer seiner Freunde, und sie lamentierten beide über die Falschheit der Rasna, die Bosheit des Schicksals und den zu stark verwässerten Wein, den man ihnen vorgesetzt hatte. Dann fand Arions Begleiter doch noch ein Mädchen, das willig war, und Arion blieb mit seinem Weinkrug und seiner Erbitterung allein zurück. Selbstverständlich hatte er sich selbst ebenfalls nach einem Weib umgesehen. Wo konnte man seine Sorgen besser vergessen als im Körper einer Frau? Aber das einzige weibliche Wesen in der Schenke, das nicht schon am Arm eines Mannes hing und noch einigermaßen ansehnlich aussah, wirkte so erschöpft, als habe es bereits eine ganze Mannschaft als Kunden gehabt.
    Sie saß auf einem Schemel an die Wand gelehnt und war wie die meisten Frauen der Rasna ein Bündel aus Widersprüchen. Arion kannte sich mit Tuch aus; das waidgefärbte Gewand, das sie trug, war bestimmt nicht billig gewesen, und die Spangen, die es über ihren Schultern zusammenhielten, sahen nicht so aus, als seien sie aus Holz. Doch ihr fehlte der Schmuck, der zu diesem Kleid gehört hätte, und ihre Haut war braungebrannt wie die einer Bäuerin. Dazu wiederum paßte nicht die Mühe, die sie sich mit ihrem Haar gegeben hatte. Die anderen Frauen hier am Hafen trugen es offen, aber diese hier hatte es sorgfältig hochgesteckt und nur zwei braune Locken hinter jedem Ohr lose gelassen. Es war die Haartracht einer Adligen, doch warum sich eine Edle der Rasna hierherbegeben und dann noch so ausgelaugt dreinschauen sollte, als läge ein Tag voller Plage hinter ihr, konnte er sich nicht vorstellen. Vielleicht wollte er es auch nicht. Falsche Schlußfolgerungen hatten ihm bereits zu viel Ärger eingebracht. Das letzte, was Arion fehlte, war ein weiterer empörter Rasna, der sich darüber beschwerte, daß man seine Frau oder Tochter wie eine Hure behandelt hatte. Also beschloß er, das Mädchen zu ignorieren. Andererseits war er auch nicht verzweifelt genug für die alte Schlampe, die von Tisch zu Tisch ging und jedem ihre verwelkten Brüste ins Gesicht schob. Sie hätte seine Mutter sein können. Wie es schien, blieb ihm vorerst nur der miserable Wein als Unterhaltung, der Wein und der Gesang des Jungen, der sich bemühte, sich in dem Gegröle der Gäste Gehör zu verschaffen.
    Die Rasna, das war ihm schon früher aufgefallen, waren ein musikliebendes Volk. Kaum bog man um

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