Die Söhne der Wölfin
eine Ecke, da stieß man schon auf den nächsten Flötenspieler. Die Beliebtheit der Doppelschalmei erklärte, warum man nicht mehr Sänger hörte. Mit einem Anflug von Heimweh dachte er an die Barden, die vor seinem Vater gesungen hatten, mit einer Stimme, die mächtig genug war, um das ganze Haus zu füllen. Ihre Lieder hatten in ihm das Fernweh geweckt, als er so alt wie der Knabe dort gewesen war, der an einer Harfe zupfte, die zu groß für ihn war, und etwas in dem fürchterlichen Kauderwelsch von sich gab, das die Leute hier sprachen. Soweit sich das in dem Lärm ausmachen ließ, sang er noch nicht einmal falsch; hohe, reine Töne, die ihm gewiß bald verlorengehen würden, wenn ihm der erste Bart sproß.
Um nicht mehr an seine mißglückte Handelsreise denken zu müssen, überlegte Arion müßig, was aus den Sängern wurde, deren männliche Tonlage sich nicht mehr mit ihrem Können als Kinder messen konnte. Alle großen Lieder zu beherrschen würde ihnen nichts mehr nützen. Natürlich konnten sie noch durch das Spielen von Instrumenten zur Unterhaltung beitragen. Oder sie verdingten sich als Söldner, wie jüngere Söhne, die...
Jemand räusperte sich neben ihm. Dankbar für jede Ablenkung, blickte Arion auf und verschluckte sich beinahe. Vor ihm stand das erschöpfte Mädchen und schaute, aus der Nähe betrachtet, durchaus nicht betäubt drein, obwohl Schatten unter ihren Augen lagen, die nichts mit Kohle zu tun hatten. Ihre Haltung war nicht unbedingt einladend; sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt, was ihn ein wenig an seine Frau erinnerte, wenn sie ihn fragte, wie lange er fortbleiben wolle.
»Verzeih«, begann sie und klang dabei ganz und gar nicht entschuldigend, »aber ich hörte dich vorhin mit deinem Freund sprechen.« Ihr Griechisch hatte einen starken Akzent, doch es war durchaus verständlich und korrekt formuliert, was mehr war, als man von den meisten Rasna behaupten konnte, mit denen er es bisher zu tun gehabt hatte. »Ich glaube, wir könnten uns gegenseitig helfen.«
»Setz dich«, sagte er einladend und dachte dabei, daß sich sein Glück vielleicht wieder gewendet hatte. Also war sie doch eine Hure. Sie sah einigermaßen sauber aus. Die Figur war sogar ausgezeichnet. Wenn sie nicht zuviel verlangte, brauchte es ihn nicht zu kümmern, wen sie vorher beglückt hatte.
Sie nahm ihm gegenüber Platz, doch an ihrer ernsten Miene änderte sich nichts, was ihn ein wenig wunderte. Gewöhnlich begannen die Frauen an dieser Stelle verführerisch zu lächeln.
»Du brauchst jemanden, der sich mit den Gebräuchen und der Sprache hier auskennt und dafür sorgt, daß man dich nicht übervorteilt«, fuhr sie sachlich fort. »Ich brauche eine Überfahrt nach Hellas.«
Zuerst dachte Arion, er habe nicht richtig gehört. Dann lachte er schallend. Die Augenbrauen des Mädchens zogen sich zusammen, und in ihre Stirn grub sich eine kleine Falte, doch sie rührte sich nicht und sagte nichts weiter. Als er wieder zu Atem kam, erwiderte Arion, so belustigt, daß es ihn nicht kümmerte, wieder einmal falsch geraten zu haben:
»Du bist verrückt, mein Kind. Frauen reisen nicht auf Schiffen, es sei denn, als Teil der Ware. Und ich handle derzeit nicht mit Sklaven.«
»Wenn ich recht verstanden habe«, bemerkte sie scharf, »handelst du derzeit mit überhaupt nichts, und du wirst von Glück sagen können, wenn du nicht als Bettler nach Hellas zurückkehrst.«
Seine Heiterkeit versiegte. »Du hörst auf, unterhaltsam zu sein. Verschwinde.«
»Ein Mann, der ein eigenes Schiff besitzt«, sagte sie beharrlich, »muß doch auch Verstand genug besitzen, um eine Gelegenheit zu ergreifen, die sich ihm bietet. Ich kann für dich übersetzen. Und«, sie senkte ihre Stimme ein wenig, so daß er sich vorbeugte, um sie besser zu verstehen, und sich gleich darauf ob dieses Zugeständnisses verwünschte, »ich kann dafür sorgen, daß es kein Händler wagt, dich zu betrügen.«
»Wie?« fragte Arion aufrichtig neugierig, obwohl er nicht glaubte, daß sie oder irgend jemand sonst eine wirklich wirksame Methode dafür kannte.
»Kein Händler«, entgegnete sie gedehnt, »wird um ein wenig mehr Gewinn willen einen Fluch auf sich nehmen.«
Der Wein hatte Arion die Zunge gelöst, aber noch nicht den Geist benebelt. Er wußte, daß man den Rasna einige Kräfte nachsagte, nur war er noch nie in der Situation gewesen, zu prüfen, ob es sich um mehr als das übliche Seemannsgarn handelte. Nach einem weiteren Schluck
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