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Die Söhne der Wölfin

Titel: Die Söhne der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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gestreckten Weines meinte er, ohne sie aus den Augen zu lassen:
    »Willst du damit behaupten, du seist eine von diesen Wunderpriestern? Eine Magierin?«
    In den braunen Augen, die ihn so ungebührlich direkt betrachteten, flackerte Ärger auf.
    »Ja«, sagte sie kurz, nicht mehr als das, und gerade der Umstand, daß sie auf weitere Versicherungen verzichtete, erweckte in Arion erste Zweifel. Vielleicht war sie doch nicht verrückt. Vielleicht meinte sie tatsächlich, was sie sagte. Dennoch, das Ganze erschien ihm zu seltsam, um wahr zu sein. Alles in allem war jedoch die Unterhaltung besser, als sich allein zu betrinken, also beschloß er, das Spiel noch eine Weile fortzuführen.
    »Angenommen, du hilfst mir tatsächlich, diesen gastlichen Hafen mit Gewinn wieder zu verlassen, und ich nehme dich mit an Bord…«, begann er gedehnt, »was hindert mich dann daran, den Gewinn noch ein wenig aufzustocken und dich im nächsten Hafen gegen etwas Elfenbein einzutauschen? Bei dem Ruf, den die Frauen der Rasna haben, bringe ich dich bestimmt irgendwo unter.«
    Ihre Lippen teilten sich zu einem Lächeln, das ihre Augen nicht erreichte.
    »Griechische Seeleute gelten ebenfalls als zu vernünftig, um wegen etwas mehr Gewinn einen Fluch auf sich zu laden, vor allem, wenn sie wissen, daß sie nicht mehr lange genug leben würden, um den Gewinn zu genießen.«
    »Ach, wirklich? Du kennst noch nicht einmal meinen Namen, Mädchen, und dafür, daß du jemand bist, dem die Götter Gehör schenken, habe ich nur dein Wort.«
    Nun war sie es, die sich zu ihm hinüberbeugte. »Ich kenne deinen Namen, Arion von Korinth«, antwortete sie, und Arion versuchte, nicht beeindruckt zu sein. Sie mußte Name wie Herkunft während des Gesprächs mit seinem Freund aufgeschnappt haben. Schließlich hatte sie zugegeben, gelauscht zu haben.
    Völlig überraschend streckte sie die Hand aus und berührte ihn mit den Fingerspitzen an der Stirn. Er spürte sie nur flüchtig, doch die Berührung war kalt. Ihre Hände mußten eisig sein wie die einer Toten. Oder lag es daran, daß ihn der Wein und die schwüle Nachtluft mittlerweile glühen ließen?
    »Ich kenne deinen Namen«, wiederholte sie in ihrer langsamen, fremdartigen Aussprache, »und die Götter kennen ihn auch. Wenn du mich verrätst, wird Nethuns die See gegen dich aufbringen, und die Zwölf werden dafür sorgen, daß ihre Blitze nicht nur dich vernichten, sondern alles, was dein ist.«
    Für einen ablenkenden Zeitvertreib wurde ihm die Begegnung entschieden zu unheimlich. Von allen Kräften, die man den Magiern der Rasna nachsagte, war die Macht über die Blitze diejenige, die jedem Seefahrer die größte Furcht einflößte. Arion klammerte sich daran, daß es mehr als ein verrücktes Mädchen brauchte, um einen freien Mann aus Korinth einzuschüchtern, und gab heiser zurück:
    »Worte machen kann jeder. Beweise es mir. Beweise mir, daß du tatsächlich eine Magierin bist.«
    Sie lehnte sich wieder zurück, ohne ihn aus den Augen zu lassen. »Ich beweise es dir«, sagte sie, »wenn wir uns danach handelseinig sind. Versprich es. Ich werde dir bei deinem Handel helfen, und du gewährst mir eine sichere Überfahrt nach Hellas auf deinem Schiff, wenn ich dir beweise, was ich bin.«
    Wie er von seinem ersten schallenden Gelächter über ihr wahnsinniges Ansinnen bis an diesen Punkt gekommen war, begriff Arion zwar nicht ganz, doch mittlerweile hielt er allerhand für möglich. Außerdem war er ein findiger Mann. Für alles fand sich immer ein Ausweg. Es ließ sich nicht völlig ausschließen, daß dieses merkwürdige Wesen, das ihm gegenübersaß, seinen Ausweg aus der verfahrenen Lage, in der er sich befand, darstellen konnte. Die Wege der Götter waren unerforschlich.
    »Also gut«, gab er nach. »Wenn du mir beweisen kannst, daß du eine Magierin bist, sind wir uns einig.«
    Sie schloß kurz die Augen, und der Eindruck der Erschöpfung, den sie zuerst erweckt hatte, kehrte zurück. Eine Ader pochte an ihrer Schläfe, und Arion fragte sich, ob sie nun offenbaren würde, daß es sich nur um einen närrischen Scherz handelte, zu dem seine Kameraden sie angestiftet hatten.
    »Heute nacht noch wird ein Gewitter über der Stadt niedergehen«, murmelte sie, und Arion grinste.
    »Tut mir leid, Schätzchen, das genügt nicht. Um das zu wissen, braucht man noch nicht mal ein Seemann zu sein und sich mit dem Wetter auszukennen, geschweige denn eine Magierin. Ein Blick zum Himmel und die Luft heute abend

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