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Die Söhne der Wölfin

Titel: Die Söhne der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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meint das tatsächlich ernst.«
    Auf griechisch sagte sie zu Arion: »Dann scheint dieses Schiff nur mit Ausnahmen bestückt zu sein, denn du hast bisher nur Sorgen um die Beherrschung deiner Männer geäußert, nicht um die meine, getriebenes Wesen, das ich bin. Sei unbesorgt, ich werde die verständigen Männer aus Hellas nicht länger mit dem Versuch quälen, mir mein Haar zu kämmen, und darauf vertrauen, daß ich bald wie Vanth aussehe, was ihnen zweifellos dabei helfen wird, sich auf ihre Vernunft und ihre tieferen Gefühle zu besinnen.«
    In die Stirn des Kapitäns gruben sich zwei Falten, und Ulsna, der einen Zornesausbruch befürchtete, hielt den Atem an. Doch Arion überraschte ihn.
    »Vanth kenne ich nicht«, meinte der Kapitän gedehnt und neigte den Kopf leicht zur Seite, »aber eine gewisse Ähnlichkeit mit der Gorgo läßt sich nicht leugnen. War sie nicht eine Priesterin, die sich nicht beherrschen konnte und deswegen von Athene mit Schlangen auf dem Haupt ausgestattet wurde?« Er streckte eine Hand aus und zog Ilian nachlässig an einer Locke, als sei sie ein kleines Mädchen. »Vorher soll sie allerdings eine Schönheit gewesen sein.«

    »Weißt du«, sagte Ilian später am Abend, als sie zusammengekauert und fröstelnd unter dem Sternenhimmel saßen, »ich beneide dich, Ulsna.«
    Er hätte nicht überraschter sein können. Sie verwendeten ihre eigene Sprache; trotzdem senkte sie die Stimme, als sie fortfuhr: »Jemand in deiner... Lage wird sich nie Bemerkungen wie die des Kapitäns anhören müssen.«
    Es schmerzte um so mehr, als sie sich dessen ganz offensichtlich nicht bewußt war. Er ließ den Schmerz in sich einsickern wie die salzige Meeresluft, den unvermeidlichen Gestank an Bord und die ständige Erinnerung daran, nie ein ganzer Mensch sein zu können, und versuchte, den Grund für ihre Äußerung zu erkennen.
    »Bist du denn nicht gern eine Frau?« fragte er schließlich, als er glaubte, ihre Worte entschlüsselt zu haben. Sie lachte, jedoch ohne eine Spur von Heiterkeit, und seinem musikalischen Gehör war es ein ernster Mißklang.
    »Ich habe gelernt, wir alle seien nur Instrumente des Schicksals, Männer wie Frauen«, erwiderte sie, »doch die Art, wie man ein Instrument sein kann, unterscheidet sich wie die Nacht vom Tag. Das ist in unserer Heimat so, und ich habe mich frei davon gemacht. Allerdings scheint es, daß es in Hellas noch schlimmer ist. Vielleicht sind sie dort aber auch einfach nur ehrlicher. Sie geben zu, ihre Frauen einzusperren und wenig höher als ihr Vieh einzuschätzen. Bei uns tut man so, als...«
    Sie brach ab, und Ulsna spürte, wie sie ein wenig von ihm abrückte. Er dachte über das nach, was sie gesagt hatte. Sein Leben lang hatte er sich für einen Gefangenen seiner Natur gehalten, doch es war ihm nie in den Sinn gekommen, daß sich auch andere, die von den Göttern eindeutig geschaffen worden waren, so betrachteten.
    »Aber du«, meinte er schließlich, »du kannst Leben schaffen.«
    Gleich darauf fiel ihm siedend heiß ein, daß sie, glaubte man den Geschichten, die erzählt wurden, ein Kind haben mußte, ein Kind, daß sie offenbar irgendwo zurückgelassen hatte. Vielleicht war es tot, vielleicht hatte sie es ausgesetzt, wie er einst ausgesetzt worden war. Sie antwortete nicht, und das Schweigen zwischen ihnen wurde bedrückend, belastet von Fragen, die er ihr nicht stellen wollte. Er war erleichtert, als Arion sich zu ihnen gesellte und sich aufgeräumt erkundigte, ob sie den Sternenhimmel betrachteten.
    »Kein Sturm bisher. Wie es aussieht, schulde ich Poseidon etwas, wenn wir Korinth erreichen.«
    »Man sollte nie an den Göttern zweifeln«, entgegnete Ilian, und Ulsna fragte sich, ob Arion den Hauch von Spott in ihrer Stimme hörte. Anscheinend nicht, denn er nickte nur und forderte Ulsna auf, eine seiner Weisen zum besten zu geben, es sei die richtige Zeit dazu. Ulsna gehorchte. Er kannte einige griechische Lieder; selbst wenn er nicht alle Worte verstand, hatte er sie sich doch dem Gehör nach eingeprägt. Durch Ilians Äußerungen traurig gemacht, wollte er zunächst eine Klage wählen, doch er besann sich rechtzeitig darauf, daß zu viele traurige Lieder ihm bei der übrigen Mannschaft nicht helfen würden. Also entschied er sich statt dessen für ein einfaches Zechlied, das, soweit er es begriff, den attischen Wein und Bacchos, der ihn spendete, pries.
    »Ah«, sagte Arion zu Ilian, und schnalzte mit der Zunge, während ein paar der Männer in das

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