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Die Söhne der Wölfin

Titel: Die Söhne der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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nicht gerade die beruhigende Versicherung, auf die Ulsna gehofft hatte, und die Enttäuschung darüber schärfte seine Zunge.
    »Ja, und ein zweiter Kapitän mag wohl erfahrener in unseren Sitten sein und wissen, daß nach einem Gewitter immer der höchste Punkt der Stadt entsühnt wird, falls man keine Einschlagstelle findet.«
    Zu seiner Überraschung lächelte sie. »Das mag wohl sein. Aber ich habe unseren Freund hier nicht belogen. Ich bin eine Priesterin, und es ist nicht mein Fehler, wenn die Griechen uns mit Magiern verwechseln.«
    Ulsna grinste vorsichtig zurück. »Nein, gewiß nicht.«
    Also hatte ihn das Gefühl der Kameradschaft, die sich zwischen ihnen entwickelt hatte, doch nicht getrogen. Er war froh, nicht auch noch sein zweites Stückchen Wissen einsetzen zu müssen. An der Seite seines Meisters hatte er die zwölf Städte des Bundes bereist. Barden waren wie Hunde, die hungrig nach Fetzen schnappten, Fetzen von Klatsch und Gerüchten, aus denen sich Geschichten spinnen ließen. Ja, sie war eine Priesterin. Eine Priesterin, die ihr Gelübde gebrochen hatte und zur Namenlosen erklärt worden war. Wenn sie Anspruch auf ihr altes Amt in einem Tempel erhoben hätte, wäre sie gesteinigt worden.
    »Komm«, sagte sie unvermittelt, »laß uns noch einmal die Stadt betrachten. Wer weiß, wann wir diese Gestade wiedersehen.«
    Er wollte antworten, daß er nichts hier vermissen würde, doch er schluckte die Worte hinunter, als er ihrem Vorschlag folgte und sich zur anderen Seite des Schiffes wandte. Im warmen Licht der abendlichen Sonne leuchteten die grünen, gelben und blauen Häuser der Stadt wie ein Wurf aus Bernstein und Opalen, gekrönt von einem ziegelroten Rubin, dem Nethuns-Tempel. Statt einer Falle, die sich zunehmend um ihn schloß, glich sie auf einmal einem Schatz, den er zurückließ.
    »Wenn die Götter wirklich zu dir sprechen«, begann er beklommen, »haben sie dann gesagt, ob wir die Reise überleben werden?«
    »Ich habe den Göttern das Kostbarste gegeben, was ich hatte«, erwiderte sie, und mit seinem geübten Musikerohr hörte er unter dem gewollt gleichmäßigen Tonfall die mühsam unterdrückten Spitzen von Zorn, Trauer und, was ihm am vertrautesten war, Selbsthaß. »Es ist an der Zeit, daß sie etwas für mich tun.«
    Flüche hatte er im Hafen tagaus, tagein gehört, doch nie eine so offenkundige Blasphemie. Kein Wunder, daß sie verstoßen worden war. Ulsna hob die Hand, um das Zeichen gegen den bösen Blick zu machen, und ließ sie wieder sinken. Dem Willen der Götter zufolge war auch er ausgestoßen, war es von dem Moment seiner Geburt an gewesen. Er überraschte sich dabei, wie er statt dessen nach Ilians Hand griff. Nach einem kurzen Zögern erwiderte sie den Druck.
    »Sing noch einmal dein Lied vom Abschied«, murmelte sie. »Ich brauche eine Rechtfertigung, um zu weinen.«
    Die Kassiopeia durchschnitt die Wellen in einem Zickzackkurs, der, wie Arion Ulsna ungeduldig erklärte, als der Junge danach fragte, unumgänglich war, wenn man den Wind mit dem Segel einfangen wollte, solange er von vorne blies. Es gab nur zwei Ruder an Bord, die auch zum Steuern verwendet wurden, da mehr davon, wie sie die Phönizier oder auch die Kriegsschiffe hatten, kostbaren Lebens- und Laderaum vergeudet hätten. Das Segel stellte die wichtigste Bewegungsquelle dar. Von dem kühnen Schiffsschnabel mit seinen aufgepinselten Augen bis zum gebogenen Dreieck des Hecks maß das Boot in etwa die Länge von sieben oder acht Männern, wenn sie sich hintereinander ausstreckten; in der Breite hätten dies nur drei Männer fertiggebracht. Die mit Leder überzogenen Ruten, welche die Schiffswände von außen einkleideten, hielten die schlimmsten Wellenstöße ab, doch schon nach wenigen Tagen stellte Ulsna, der sich nie für verzärtelt gehalten hatte, fest, daß er am ganzen Leib mit grünen und blauen Flecken überzogen war. Bei Ilian war es noch schlimmer.
    Nicht, daß sie sich je beklagte hätte; sie wußte sehr gut, daß ihr Ansehen als Magierin, von dem ihre und Ulsnas Sicherheit letztendlich abhing, ohnehin auf tönernen Füßen stand. So führte sie morgens, mittags und abends mit großen Gesten ihre Zeremonien durch, die außer Ulsna kein Mensch verstehen konnte. Es waren tatsächlich Gebete, doch Ulsna fühlte sich meist zu elend, um auf den genauen Wortlaut zu achten. Ihm und Ilian wurde während der ersten beiden Tage mehr als einmal so schlecht, daß sie sich über die Reling hinaus übergaben,

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