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Die Söhne der Wölfin

Titel: Die Söhne der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Necho, dem Fürsten von Sais, vermählte, hatte dieser sofort erkennen lassen, daß es nicht nur die Mitgift und ihre Schönheit waren, die ihn an ihre Seite zogen, sondern daß er in ihr auch das Blut der Götter suchte. Sie und Necho hatten einander von Anfang an verstanden.
    Warum immer die sichere Stufe sein, auf die ein fremder Pharao seinen Fuß setzte, wenn es möglich war, die Doppelkrone selbst zu erringen? Und es war möglich. Als die Assyrer Land nach Land nahe der ägyptischen Grenze unter ihre Herrschaft brachten, als Phönizien, Israel, Juda und Philistia ihre Nacken beugten, hätte selbst ein Blinder prophezeien können, wohin ihr Ehrgeiz sie als nächstes führen würde.
    Nesmut hatte den Wink der Götter erkannt und Necho gedrängt, Asharhaddon, dem König der Assyrer, einladende Worte zu schicken. Sollten die Assyrer kommen; wenn sich Assyrer und Nubier erst zerfleischt hatten, dann würde die Zeit für den wahren Sieger kommen, und wer anders sollte das sein als der Fürst von Sais, der bereits seit Generationen den Titel »Herr des Westens« führte?
    Es war ein guter Plan gewesen, und auch jetzt noch, während sie die erbarmungslosen Strahlen der Mittagssonne jede Falte in ihrem Gesicht offenbaren fühlte und rasch wieder in den kühlenden Schatten ihrer Gemächer floh, erinnerte sich Nesmut an den Triumph, der sie erfüllt hatte, als die Assyrer Memphis erobert und die anmaßende nubische Königin gefangengenommen und nach Niniveh mit sich geführt hatten. Als Asharhaddon dann auch noch Necho zum ersten jener Vasallen ernannt hatte, die das Land für ihn regieren sollten, wenn er nach Assur zurückkehrte, war sie ihrer Sache sicher gewesen und hatte die Doppelkrone bereits auf dem Haupt ihres Gemahls gesehen.
    Aber Taharqa, der Nubier, der nie den Titel des Einzig-Einen aufgegeben hatte, bewies, daß er mehr konnte, als Monumente in Memphis und Theben zu bauen und sich mit dem höchsten Orakel gut zu stellen. Er wartete, bis Asharhaddon fort war, kehrte mit neuen Truppen zurück und saß binnen zweier Jahre wieder in Theben, als Herr über beide Länder.
    Die Erinnerung an diese Ereignisse machte Nesmut jetzt noch zornig. Die Assyrer waren keine Hilfe gewesen. Angeblich hatten ihre Astrologen Asharhaddon von einem erneuten Feldzug abgeraten. Als ihnen die Sterne endlich wieder günstig erschienen, starb Asharhaddon, und es dauerte nochmals zwei Jahre, bis sein Nachfolger Assurbanipal in Ägypten erschien. Jahre, in denen Nesmuts Traum Stück für Stück gestorben war, gemeinsam mit ihrem Vater und ihren Brüdern, und in denen sich Necho erneut dem Nubier Taharqa beugen mußte.
    Jetzt waren die Assyrer wieder da mit ihren Truppen. Ließen Necho für seine »Treulosigkeit« zahlen, als ob ihm etwas anderes übriggeblieben wäre. Behandelten ihn nicht mehr als Verbündeten, sondern als unbotmäßigen Untertan, und verboten ihm, weiterhin griechische Söldner anzuwerben. Behaupteten, er müsse die Erträge von Sais gänzlich ihnen zur Verfügung stellen, wenn er ihre Gunst wiedererringen wolle. Im Vergleich dazu war Taharqa noch wohlwollend gewesen. Nesmut sah keinen Sinn mehr darin, die Assyrer zu beschwichtigen. Auch Assurbanipal würde Ägypten wieder verlassen, und Taharqa, der sich jetzt auf dem Rückzug befand, würde erneut in den Norden vorstoßen. Aber dann würde Necho kein Heer und keine Güter mehr haben, um die Lage noch in irgendeiner Weise zu nutzen.
    Nesmut fühlte sich müde und aufgebraucht. Ihr Gemahl hörte nicht mehr auf sie; in schwierigen Stunden beschuldigte er sie gar, für das ganze Debakel verantwortlich zu sein, weil sie ihm ihren Ehrgeiz ins Blut gesetzt habe, und sprach düster davon, sein Testament ändern zu wollen, in dem er sie adoptiert hatte, um ihr mehr als nur das einer Ehefrau zustehende Drittel an Erbschaft zu sichern. Schlimmer für sie war jedoch ihre eigene Bitterkeit. Sie glaubte nicht mehr daran, daß Necho das Zeug dazu hatte, der Einzig-Eine zu werden, ließ dies gelegentlich sehr wohl durchblicken und fragte sich mit jedem Tag mehr, warum sie eigentlich noch bei ihm blieb. Sie besaß die Möglichkeit, den Scheidebrief zu fordern; das Gesetz gab ihr das Recht dazu, wie sie auch die Verwaltung ihres Eigentums selbst ausüben konnte. Aber der Krieg hatte viele ihrer Güter verwüstet, und außerdem war ihre Hoffnung noch nicht ganz geschwunden, sondern klammerte sich in ihr fest wie eine störrische Auster an einen Felsen. Es mochte noch ein Wunder

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