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Die Söhne der Wölfin

Titel: Die Söhne der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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wertvoll ist, dann wird das Orakel dich in deinem Vorhaben unterstützen.«
    »Nichts täte ich lieber«, antwortete Ilian, »zumal ich mich schon lange danach gesehnt habe, jenes Land zu besuchen. Doch verzeih mir, wenn mir die Bedingungen etwas seltsam erscheinen. Wenn sich der Gott so nach dem Wissen der Ägypter sehnt, warum hat er dann nicht längst einen seiner Diener dorthin gesandt?«
    Iolaos verzog den Mund zu einem winzigen Lächeln und drehte bedauernd die Handflächen nach oben.
    »Der Gott fürchtet um das Leben seiner treuen Diener, denn er hat schon zwei von ihnen verloren, die vergebens den Versuch machten, für ihn jenes Wissen zu erwerben. Das Orakel des Amon befindet sich in Theben, und dort herrscht der nubische Pharao. Um jedoch dorthin zu gelangen, muß man den Teil des Landes durchqueren, wo die Assyrer sich eingenistet haben. Sie wollen ihren eigenen Vasallen zum Herrn beider Länder machen, wie man hört, und dieser wirbt, auf daß er nicht als Sklave der Assyrer gelte, auch griechische Söldner an. Deswegen hegt man in Theben Groll gegen alle Menschen griechischer Zunge, törichten Groll, versteht sich, denn ich bin sicher, daß nur Spartaner oder Inselgriechen sich auf derlei Unternehmungen einlassen, die mit uns keinesfalls zu vergleichen sind. Aber so weise die Priester der Ägypter auch sein sollen, so unvernünftig ist das Volk auf der Straße. Angeblich zerreißt es Menschen, die ihm nicht gefallen, in Stücke.«
    »Nun verstehe ich, warum der Gott mir diese Prüfung auferlegt«, entgegnete Ilian freundlich. »Nun, gesetzt den Fall, ich bestehe sie und erweise mich würdig - wie genau wäre die Unterstützung beschaffen, die das Orakel mir dann zuteil werden ließe?«
    Mit einem Händeklatschen rief Iolaos einen der weißgewandeten Priester herein und ließ sich einen Becher Wein einschenken. Er bot Ilian nichts davon an, was, so hielt sich Ulsna wieder vor Augen, hierzulande ein Beweis der Achtung war, denn damit unterstellte er ihr nicht mehr unziemliches Verhalten.
    »In diesem Fall sähe sich das Orakel verpflichtet, jeden Besucher aus dem Land der Rasna, wie auch jeden, der etwas mit den Rasna zu tun hat, auf eine Ungeheuerlichkeit aufmerksam zu machen, welche die Götter beleidigt hat. Der König von Alba kam widerrechtlich auf den Thron. Als seine Nichte, Tochter des wahren Königs, von einem Gott selbst ein Kind empfing, um die richtige Erbfolge wiederherzustellen, wies er dieses Geschenk der Götter nicht nur zurück, sondern jagte die schwangere Priesterin in die Wildnis, auf daß Mutter und Kind verdürben. Die Götter werden erst dann wieder zufrieden sein, wenn der Gerechtigkeit Genüge getan ist, wenn der wahre König kommt, sein Erbe zu verlangen.« Iolaos nippte an seinem Becher und ließ sein Lächeln etwas breiter werden. »Es ist eine alte Geschichte, und doch immer wieder neu. Die Menschen werden sie erkennen und werden sie glauben, weil sie sie erkennen. So ist es mit den tieferen Wahrheiten immer.«
    Mittlerweile fragte sich Ulsna, dem die Grundzüge der Geschichte ebenfalls nur allzu bekannt waren, ob alle Priester den Willen der Götter so eigenmächtig auslegten und mit dem Glauben der Menschen schacherten. Er war abgestoßen und gefesselt zugleich, wie bei Arions Fest, als ihm die Gäste eindeutige Angebote gemacht hatten.
    Ilian neigte den Kopf noch etwas tiefer. »Da gebe ich dir recht. Doch würde ich die Macht des Gottes und seines Orakels gering achten, würde ich annehmen, daß sie es dabei beließen.«
    Mit einer leichten Handbewegung goß Iolaos etwas Wein auf dem Boden aus, als Trankopfer für den Gott. »Deine Achtung ehrt dich«, sagte er kühl. »Ehe ich allerdings weitere Möglichkeiten des Orakels mit dir erörtere, wüßte ich gern, welcher Gott damals die heilige Ehe mit der Göttin geschlossen hat. Wen wird die Geschichte nennen?«
    »Edler Iolaos, gewiß stellst du mich wieder auf die Probe, denn ohne Zweifel hat dir deine Weisheit das bereits verraten. Die Göttin war Turan, in ihrer Eigenschaft als Schirmherrin der Stadt, als Mutter und Geliebte, als Hüterin von Fruchtbarkeit und Frieden. Die Stadt war erobert worden. Daher mußte es der Gott der Eroberung sein. Laran, den man in diesem Land Ares nennt. Der Kriegsgott.«
    Ein Schauer lief Ulsna über die Haut. Er selbst hatte nie einen Krieg erlebt, aber er hatte alte Krieger in den Straßen betteln sehen, mit ihren zerhackten Gliedmaßen, ihren Narben und ihren Flüchen auf alle, die noch

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