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Die Söhne der Wölfin

Titel: Die Söhne der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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gesund waren. Mit der Nennung des Kriegsgotts als wahren Vater ihrer Kinder weihte Ilian diese Knaben - und wahrscheinlich noch viele andere - einem Schicksal, das hohen Ruhm bedeuten konnte oder ein Ende in der Gosse. Ihm kam in den Sinn, wie die Griechen den Kriegsgott in den Liedern nannten, die er und Ilian in den letzten Tagen gemeinsam studiert hatten: Grausamer Ares, Fluch der Menschen, blutgetränkter Stürmer der Städte. Wollte sie das für ihre Söhne?
    Indessen nickte Iolaos beifällig. »In der Tat, ich hätte es mir denken können. Es war eine weise Wahl, doch ist Ares oft wetterwendisch und wortbrüchig, und da wundert es mich nicht, daß auch sein sterblicher Vertreter wortbrüchig wurde. Fürwahr, sein Sprößling ist gut beraten, sich unter Apollons Schutz zu stellen. Seine göttliche Herkunft allerdings kann ihm niemand streitig machen, und Männer werden dem Sohn des Kriegsgottes gern in die Schlacht folgen. Selbst Männer griechischer Zunge, wenn es nötig sein sollte, besonders wenn das Orakel es ihnen rät.«
    Ulsna erwartete, daß Ilian jetzt zur Sprache brächte, daß sie zwei Söhne, und nicht einen hatte, doch sie tat nichts dergleichen. Statt dessen kniete sie nieder und hob langsam beide Hände. Die Haltung der Betenden und Flehenden war Ulsna noch nie so beunruhigend erschienen wie jetzt, da Ilian langsam, jedes Wort betonend, sagte:
    »Ruhm und Preis sei Apollon, den die Rasna anbeten werden in seiner Herrlichkeit, wenn alles Unrecht getilgt ist und Recht wieder herrscht über Alba!«
    »Das wird es«, bemerkte Iolaos, doch als er weitersprach, war aus seiner Stimme jede Billigung und Freundlichkeit verschwunden. Sehr klar und sehr kalt setzte er hinzu: »Wenn du deine Versprechen hältst, mein Kind. Jedes einzelne. Es gibt niemanden, der dir ein weiteres gebrochenes Gelübde verzeihen würde.«
    Ilian erhob sich wieder, und diesmal machte sie noch nicht einmal den Ansatz eines bescheidenen Kopfneigens.
    »Verzeihung ist für die Schuldigen«, gab sie hart zurück. »Ich habe mich nie eines Vergehens gegen die Götter schuldig gemacht, und ich werde es auch nie tun.«
    »Dann«, sagte Iolaos, und nun war er es, der den Kopf um eine Winzigkeit senkte, »verstehen wir uns.«

    Die Sonne stand bereits lange am Himmel, als die Herrin Nesmut sich endlich entschloß, den Tag zu beginnen. Es hatte eine Zeit gegeben, in der sie die erste gewesen war, die sich erhob, manchmal sogar noch vor den Sklaven. Eine Zeit, in der es ihr gefallen hatte, von der Terrasse ihres Palastes aus Sais zu betrachten, die Stadt ihres Gemahls, wenn der Sonnenaufgang sie jeden Morgen aufs neue gebar. Damals war ihr Sais als ein verheißungsvolles Versprechen erschienen, wie ein noch nicht geschliffenes Juwel, wie das weiche, unscheinbare Ei einer Kobra, aus dem bald die königliche Schlange schlüpfen würde, um sich in erhaben-blauer Pracht um das Haupt ihres Gemahls und um das ihre zu legen.
    Es hatte sie nicht gestört, daß dem neuen, lauten, uneinheitlichen Sais die ehrwürdige Erhabenheit ihrer Heimatstadt Theben fehlte oder die kühle Eleganz von Memphis, den Städten, von denen aus Ägypten fast immer regiert worden war. Von den elf Königreichen, in die das Land zerfallen war, ehe die Nubier kamen, konnte keines sich mit der Macht und dem Reichtum von Sais im westlichen Nildelta messen. Die Schiffe, die aus allen Ländern kamen, um Handel zu treiben, segelten den Nil gewöhnlich nur die kurze Strecke bis nach Sais hoch, weil der Fluß in seiner gewaltigen Größe bis dahin kaum von einem Meeresarm zu unterscheiden war und keine Untiefen sie gefährdeten. Sais war der Mund Ägyptens, der die Güter der Fremden einsog und die Gaben des Landes ausatmete. Jeder einzelne der vier Nubier, der sich den Titel des Herrn beider Länder angemaßt hatte, war deswegen auf die Unterstützung der Prinzen von Sais angewiesen gewesen.
    Nesmut führte ihre Abstammung auf die Götter zurück. Gewiß, ihre unmittelbaren Vorfahren hatten nie auf dem Thron gesessen, doch ihr Vater konnte eine Verwandtschaft zu dem Einzig-Einen nachweisen, der vor zweimal hundert Jahren über Ägypten geherrscht hatte. Ihre Familie besaß das Recht, eine Grabstätte im Tal der Könige zu beanspruchen. Nicht, dachte sie verächtlich, daß dies den Nubiern etwas bedeutete, die sich anmaßten, Pyramiden für ihre Könige zu bauen, in plumper Nachahmung der Erhabenen; etwas, das einem wahren Ägypter nie in den Sinn gekommen wäre.
    Als man sie mit

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