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Die Söhne der Wölfin

Titel: Die Söhne der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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annähme wie Ilian.
    Selbstverständlich sagte er ihr nichts dergleichen, als sie ihn schließlich fragte, ob er auch diesen Weg mit ihr ginge. Statt dessen entgegnete er, als der Barde, der sich vorgenommen habe, ein Epos über ihre Geschichte zu verfassen, müsse er sie wohl begleiten. Sie lächelte und küßte ihn, einen ihrer leichten, schwesterlichen Küsse auf die Wange, die ihn immer ein wenig wütend auf sie und sich selbst machten. Sie war nicht seine Schwester, doch er wußte nicht, ob er sie als etwas anderes würde ertragen können.
    Für die Begegnung mit der Herrscherin von Sais trug sie das einzige Gewand, das die Reise einigermaßen heil überstanden hatte, schlicht in seiner waidblauen Färbung, ohne jegliche Art von Stickerei und mit zwei Bronzefibeln zusammengehalten. Der Gegensatz zu der Frau, zu der sie nun geführt wurden, hätte nicht größer sein können. Selbst Prokne hatte im Vergleich dazu bescheiden ausgesehen.
    Ulsna kniete nieder, wie ihn der Haushofmeister mit einer eindeutigen Geste angewiesen hatte, doch er konnte seinen staunenden Blick nicht von der Ägypterin wenden. Sie trug einen über und über mit Gold durchwirkten Kopfputz aus pechschwarzem Haar. Ihr Gesicht war ebenfalls mit Goldpuder bestäubt, doch darunter mußte sie Bleiweiß aufgetragen haben. Um die Augenlider schillerte eine grünliche Substanz, und die Augenbrauen waren mit Kohle bis an die Schläfen verlängert. Als sie in die Hände klatschte, was, nach dem Verhalten des Haushofmeisters zu schließen, wohl bedeutete, daß man sich nun erheben durfte, sah Ulsna, daß die Handflächen mit Henna rot gefärbt waren. An den Fingernägeln trug sie kleine silberne Schildchen. Die Fußgelenke wie die Handgelenke waren mit Ketten geschmückt, die ebenfalls silbern schimmerten. Am erstaunlichsten jedoch war das Gewand; dieses tiefe, dunkle Rot hatte er noch nie gesehen, und er fragte sich, ob es die legendäre Substanz in sich trug, die so kostbar war, daß man behauptete, sie sei ein Geschenk nur für Könige, und die man »Purpur« nannte.
    Der Haushofmeister richtete in einem ehrerbietigen Tonfall das Wort an sie. Ulsna verstand nur grob den Sinn des Satzes. Seit ihrer Ankunft in Sais hatte er festgestellt, daß Ilian in einem recht hatte: Was sie bisher beherrschten, konnte nur ein Bruchteil der ägyptischen Sprache sein.
    Als die Frau zustimmend nickte, trat Ilian einen Schritt vor und begann mit der Ansprache, die sie auf dem Schiff verfaßt und ständig verfeinert hatte, in der Hoffnung, sich so gut auszudrücken, wie es ihr derzeit möglich war. Ulsna hoffte nur, daß sich keiner der Ägypter und Phönizier einen Spaß daraus gemacht hatte, ihnen falsche Redewendungen beizubringen.
    Ilian kam nicht sehr weit, ehe die Frau abwinkte und mit einem starken Akzent, jedoch klar verständlich in griechisch fragte: »Man sagte mir, ihr wärt keine Griechen, doch ich darf wohl annehmen, daß ihr diese Sprache besser beherrscht?«
    »So ist es«, entgegnete Ilian, und nur ihr leichtes Erröten verriet Ulsna, daß sie sich über die herablassende Art der Fremden ärgerte. In ihrem Tonfall dagegen blieb sie die Demut selbst. »Ich bitte um Vergebung, aber ich habe erst angefangen, deine Sprache zu studieren, Herrin, wohingegen ich mit der der Griechen schon seit vielen Jahren vertraut bin. In meiner Heimat siedeln sich immer mehr von ihnen an, und so fällt es leicht, sie zu erlernen.«
    »Griechen gibt es überall«, kommentierte die Herrin des Hauses. »Sie vermehren sich wie Frösche um einen Teich. Doch immerhin sind sie nützlich, als Händler und als Krieger. Welchen Nutzen kannst du mir bringen, daß du mich so früh am Morgen behelligst?«
    Nach Ulsnas Einschätzung hatte die Sonne ihren höchsten Stand bereits erreicht, doch er bezweifelte, daß irgend jemand hier daran erinnert werden wollte.
    »Ich biete dir meine Dienste an und auch die meines Begleiters, der ein Barde ist.«
    Eine der überlangen, kohlschwarzen Augenbrauen kletterte in die Höhe.
    »Und worin bestehen deine Dienste?«
    »Herrin, ich spreche nicht nur Griechisch, ich kann es schreiben und lesen. Ich bin in der Lage, die Verwaltung eines Gutes zu führen oder«, sie machte eine kurze Atempause, »eines Tempels. Dazu wurde ich ausgebildet. In meiner Heimat bin ich dazu bestimmt, der Schirmherrin unserer Stadt als ihre Hohepriesterin zu dienen, wenn die Zeit dazu gekommen ist. Doch vorher haben die Götter mich hierher gesandt, um ihnen und dir hier zu

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