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Die Söhne der Wölfin

Titel: Die Söhne der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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geschehen und Necho mit neuer Kraft erfüllen. Oder ihr Sohn, Psammetich, würde seine Lehrer, die ihn als mürrisch und faul bezeichneten, ins Unrecht setzen und ihrem Namen doch noch Unsterblichkeit verleihen.
    Von diesem Gedanken beflügelt, beschloß sie, ihrem Sohn einen Besuch abzustatten, statt darauf zu warten, daß er ihr am Abend seine Reverenz erwies. Diesmal wich sie nicht vor der Sonne zurück, als sie ihre Gemächer verließ, und atmete die trockene, heiße Wüstenluft ein, die der Winterwind heute mit sich gebracht hatte. So war es selten genug; die für gewöhnlich herrschende feuchte Schwüle des Deltas gehörte zu den Dingen, die sie an Sais selbst in ihren glücklichsten Tagen gestört hatten.
    Sie kam nicht weit. Ihr Haushofmeister erspähte sie bereits, als sie den ersten Innenhof durchquerte, und rief sie an. Ungnädig wandte sie sich ihm zu und erfuhr, drei Fremde hätten vorgesprochen, um in ihre Dienste zu treten.
    »Derlei Haushaltsangelegenheiten zu entscheiden obliegt dir«, entgegnete Nesmut ungehalten. »Dazu beschäftige ich dich schließlich.«
    »Verzeih, Herrin, aber ich meine, du solltest sie dir ansehen«, entgegnete der Haushofmeister, den jahrelange Vertrautheit gelehrt hatte, wie weit er bei ihr gehen konnte, mit der richtigen Mischung aus Ehrerbietung und Drängen. »Es sind Fremde, aber keine Griechen, Assyrer oder Nubier«, fügte er vielsagend hinzu.
    Da es ursprünglich Nesmuts Einfall gewesen war, griechische Söldner anzuheuern, um ein wenig Unabhängigkeit von den Assyrern zu gewinnen und dadurch weniger als ihr Vasall dazustehen, hegte sie in bezug auf alles, was von jenseits des Meeres kam, gemischte Gefühle. Sie glaubte immer noch, daß es eine gute Idee gewesen war, doch bisher hatte sie ihnen kein Glück gebracht, und bei ihrem letzten Streit hatte Necho auch dies unter den Dingen aufgezählt, die er ihr übelnahm. Sie schwankte. Dann entschied sie, heute auf Nechos Gefühle keine Rücksicht nehmen zu wollen, und teilte dem Haushofmeister mit, er möge ihr die Fremden vorführen. Wenn schon nichts anderes, so würde der ungewohnte Anblick sie von ihren alltäglichen Sorgen und Enttäuschungen ablenken, und nichts anderes hatte die treue Seele vermutlich im Sinn gehabt.

    Der Palast, durch den sie geführt wurden, schien kein Ende nehmen zu wollen, und Ulsna kam aus dem ehrfürchtigen Staunen nicht mehr heraus. Weder in seiner Heimat noch bei den Griechen, wo er und Ilian alles in allem fast ein Jahr gelebt hatten, war ihm jemals ein solches Gebäude zu Gesicht gekommen, das sogar griechische Tempel im Vergleich dazu klein wirken ließ. Nicht nur die Wände, auch die Decken waren mit Sternengewölben bemalt, und zu gern wäre er in jedem Raum etwas länger verweilt, um ihn sich näher anzusehen. Die Gestalten mit Tierköpfen mußten die ägyptischen Götter sein. Er fragte sich, welche von ihnen eine Sphinx war. Die Geschichte von der Sphinx, die aus Ägypten gekommen war und die griechischen Länder heimgesucht hatte, bis sie Ödipus erschlug, gehörte zu denen, die ihm Ilian in Delphi vorgelesen hatte, aber wie eine Sphinx aussah, das konnte er sich nicht vorstellen. Ein Teil ihres Körpers sei der eines Löwen, so hieß es, doch einen Löwen hatte er auch nie gesehen, und so war er immer noch nicht klüger. Wie dem auch sein mochte, es würde Zeit genug sein, um solche Dinge herauszufinden. Mehr als genug Zeit.
    Ilian war nach ihrer Übereinkunft mit Iolaos noch einige Wochen in Delphi geblieben, hatte weiterhin Schriftrollen studiert, Gespräche mit der Priesterschaft geführt und außerdem erfolglos versucht, jemanden zu finden, der ihr die Sprache der Ägypter beibringen konnte. Dann waren sie nach Korinth zurückgekehrt, diesmal nicht als widerwillig geduldete Mitglieder einer Gesandtschaft, sondern als vom Orakel von Delphi beschirmte und mit einer Leibwache ausgestattete Reisende.
    In Korinth waren sie folgerichtig im dortigen Apollon-Tempel untergebracht worden, und Ulsna mußte zu seiner Überraschung feststellen, daß er im nachhinein die zwanglosere Umgebung von Proknes Haus dieser neuen Unterkunft vorzog. Die ständigen Rituale, zu deren Teilnahme sich Ilian offenbar verpflichtet fühlte, fingen an, ihn zu bedrücken. Arion befand sich leider wieder auf See; immerhin waren einige seiner Freunde bereit, Ulsna auf ihren Festen spielen zu lassen, so daß er der priesterlichen Umgebung öfter entkommen konnte.
    Als Ilian mit seiner Hilfe endlich jemanden

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