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Die Söhne der Wölfin

Titel: Die Söhne der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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teilten, behauptete man doch, eine der Strafen für den Verstoß dagegen seien unnatürliche Wesen wie er. Nun, das zumindest konnte nicht stimmen, sonst würden in den edlen Familien Ägyptens nur noch Zwitter herumlaufen. Was die beiden Töchter des Hauses betraf, die einer Ehe mit ihrem Bruder knapp entgangen waren, so hatte Ulsna sie noch kaum zu Gesicht bekommen, doch er beneidete kein Mädchen, das den Sohn des Hauses heiraten mußte. Der junge Mann jagte ihm mit seinem finsteren Gesicht, das während der monatelangen Vorbereitung seiner Vermählung nur noch finsterer wurde, Angst ein. Seinen Vater sah man zumindest gelegentlich scherzen und lachen, und die Herrin Nesmut mochte zwar eine hochmütige Art haben, doch sie konnte auch umgänglich sein, wenn sie wollte. Als er ihr die ersten ägyptischen Weisen vortrug, die er gelernt hatte, lobte sie ihn, statt es für selbstverständlich zu nehmen, und sie ließ ihn oft genug holen, um ihm das Gefühl zu geben, als Musiker geschätzt zu werden. Psammetich dagegen schaute nicht nach links oder rechts, wenn er durch das Haus stapfte, er beachtete die Sklaven, die ihn bedienten, niemals, und sein Schädel, der wie der vieler Männer hier kahlgeschoren war, unterstrich noch den versteinerten Ausdruck seines Gesichts, weil es von keinem Lächeln belebt wurde.
    Die Verhandlungen, die um Psammetichs Braut geführt wurden, waren etwas, das sich dem Haushalt nur durch gelegentliche Boten mitteilte. Allmählich wurde es für Ulsna immer leichter, sich auch mit den übrigen Sklaven zu unterhalten, doch er hegte den Verdacht, daß sie es immer noch für unangemessen hielten, mit ihm als Fremdem über alle Angelegenheiten der Herrschaft zu klatschen; darüber, wer als Braut in Frage kam, erfuhr er wenig. Nicht, daß es ihn kümmerte; er hörte sich ohnehin lieber an, was die älteren Bediensteten von den Gütern weiter im Süden erzählten, die der Familie nicht mehr gehörten, von den alten Städten dort mit riesigen Tempeln, gegen die angeblich alle Gebäude in Sais als kleine Wurzelwerke im Vergleich zu ausgewachsenen Bäumen verblaßten, und vor allem von den Grabmälern der Götter Chefren, Cheops und Snofru, die mit der großen Sphinx gegen den Horizont wetteiferten.
    Kleine Sphinxen hatte Ulsna inzwischen mehrfach gesehen, nachdem man sie ihm einmal bezeichnet hatte. Vor dem »Haus des Lebens«, wo sein und Ilians Vertrag geschlossen worden war, stachen sie ihm erstmals ins Auge. Der Anblick ihrer menschlichen Gesichter, die aus Tierkörpern herauswuchsen, ging ihm nahe, wie es die Darstellungen der Götter in menschlichen Körpern und tierischen Gesichtern nicht taten. In ihrer steinernen Reglosigkeit, ob nun in rotem Granit oder schwarzem Basalt, schienen sie ihm gefangen zu sein und ihrem Zwitterdasein genausowenig entkommen zu können wie er.
    Als man ihm erzählte, es seien allesamt Darstellungen vergöttlichter Könige, war er etwas enttäuscht. Dann sagte er sich, daß es an ihm als Barden war, aus dieser Geschichte eine bessere zu machen, und beschloß, das Land Ägypten nicht ohne ein Lied über eine gefesselte Sphinx wieder zu verlassen.
    Er arbeitete gerade daran, als die Herrin Nesmut ihn rufen ließ. Da es noch früh am Tag war, ging er davon aus, daß sie allein unterhalten werden wollte, und nahm nur seine Laute mit, nicht die Harfe, wie er es für Gäste getan hätte. Es stellte sich jedoch heraus, daß sie andere Absichten hatte.
    »Die Braut, die meines Sohnes würdig ist, scheint endlich gefunden zu sein«, teilte sie ihm mit; dank Ilians gelegentlicher Bemerkungen übersetzte sich das für Ulsna in: »Es gibt einen assyrischen Edelmann mit einer Tochter, der meinen Gemahl nicht für einen Verräter hält.« Selbstverständlich ließ sich Ulsna keine solchen Gedanken anmerken. Er brachte in aller Ehrerbietung seine Glückwünsche zum Ausdruck. Gelangweilt winkte Nesmut ab.
    »Du wirst noch Gelegenheit haben, deine guten Wünsche in die Tat umzusetzen«, verkündete sie. »Um den Segen der Götter auf das Bett meines Sohnes zu lenken und sicherzugehen, daß diese Verbindung fruchtbar sein wird, wirst du ihm deinen Samen spenden.«
    Als Arion ihn seinerzeit bei der Kehle gepackt und beinahe über Bord geworfen hatte, war der Schrecken glühend heiß gewesen, stechend, und hatte Ulsna schnell handeln lassen. Jetzt kroch ein Gefühl würgender Taubheit in ihm hoch, schwarz und dicht wie der Nilschlamm, den er überall auf den Feldern sah. Seit sie ihn

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