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Die Söhne der Wölfin

Titel: Die Söhne der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Krieger. Ich werde ein Held. Ich werde eine Stadt aus Gold erobern und einen Thron aus Edelsteinen haben.«
    »Du weißt ja gar nicht, wie Gold aussieht«, konterte Romulus.
    »Du doch auch nicht.«
    »Nein, aber ich werde es herausfinden, wenn die Tusci wirklich Tempel aus Gold haben. Jetzt, wo Numa weg ist, wird der alte Pompilius jemand anders brauchen, um ihm beim Verkauf seiner Waren in der Stadt zu helfen. Ich habe ihn schon danach gefragt, und er sagt, er nimmt mich mit, wenn Vater es erlaubt.« Etwas gönnerhaft fügte Romulus hinzu: »Dich auch.«
    Er verschwieg, daß Pompilius zuerst nach Remus verlangt hatte, mit der Bemerkung: »Nichts für ungut, Kleiner, aber dein Bruder ist nun mal kräftiger, und ich brauche jemanden, der wirklich anpacken kann.« Erst als Romulus behauptet hatte, Remus würde nicht ohne ihn helfen, hatte Pompilius seine Aufforderung auf beide Brüder ausgedehnt. Davon jedoch brauchte Remus nichts zu erfahren.
    »Ich habe ihm gesagt, entweder beide oder keiner«, berichtete Romulus und beobachtete, wie das Gesicht seines Bruders erstrahlte, »und daß ich ohne dich nicht gehe. Er wird Vater fragen, und Vater kann jetzt schlecht nein sagen, nicht nachdem er sich für Numa eingesetzt hat.«
    Remus pfiff durch die Zähne und meinte, Romulus sei ein guter Kamerad. Während sie begannen, Pläne für ihren Tag in der großen Stadt zu schmieden, stellte Romulus fest, daß er kein schlechtes Gewissen wegen seiner Lüge hatte, nicht wie damals, als er dem Vater verschwiegen hatte, daß ihm ein Krug mit Öl heruntergefallen war. Es war ja nicht alles geschwindelt, und es machte Remus glücklicher, als es die vollständige Wahrheit getan hätte.
    Als sie am Abend die Schweine wieder zurücktrieben, entdeckten sie schon aus der Ferne, das etwas nicht stimmte. Alle Kinder, die Frauen des Dorfes und ein Gutteil der Männer schienen um die Hütte ihres Vaters herumzuschwirren wie Bienen, denen man gerade ihre Honigwabe weggenommen hatte. Neben der Hütte stand ein großer Karren, und davor gespannt war kein Ochse und kein Esel, sondern ein Pferd. Sowie die Schweine wieder im Koben waren, liefen die Brüder zu dem Tier und staunten es wie die anderen Dorfbewohner an. Die Tusci besaßen Pferde, doch unter den Latinern nur die Reichsten. Pferde waren eine seltene Kostbarkeit; sie standen nicht einfach vor große Karren gespannt neben der Hütte des Bauern und Hirten Faustulus. Aus dem Karren drangen ein paar merkwürdige Geräusche, und Romulus riß seine Augen von dem braunen Wunder mit dem herrlichen Kopf und der langen Mähne los, um in das Halbdunkel unter der Wagenplane zu spähen. Er erkannte einige geflochtene Weidenkörbe und darin gackernde Vögel.
    »Wem gehört das alles?« fragte er, und einer der Umstehenden erwiderte, sie sollten nur alle beide hineingehen, um es herauszufinden. Das bedeutete, Pferd vorerst Pferd sein zu lassen, doch die Zwillinge, von immer größerer Neugier getrieben, folgten dem Rat.
    Im Inneren roch es nach Gewürzen, die Romulus nicht kannte, das war das erste, was ihm auffiel. Sein Vater saß vor der Feuerstelle, wie so oft am Abend, aber diesmal hatte er den Rücken zum Herd gewandt und schaute ihnen entgegen, als sie über die Schwelle traten. Über sein wettergegerbtes Antlitz hatte sich in den letzten Jahren ein Netz von Falten gelegt, doch die beiden steilen Furchen über seiner Nase waren neu.
    »Kommt herein«, befahl er mit belegter Stimme.
    Die Frage nach der Anwesenheit der Tiere draußen lag Romulus auf der Zunge, und er wollte gerade den Mund öffnen, um sie zu stellen, als er Remus ehrfürchtig murmeln hörte: »Oh.«
    Es war etwas, das Romulus weder sich noch Remus, noch ihr jemals verzieh. Daß Remus sie zuerst gesehen hatte.

    Er brauchte nicht lange, um zu entdecken, daß er sie haßte. Jetzt, wo sie wiederaufgetaucht war, verstand er mit einem Mal, warum der Vater nie über sie hatte sprechen wollen: Nicht, weil sie eines schlimmen Todes gestorben oder, wie er und Remus bisweilen geglaubt hatten, von Ungeheuern entführt worden war; nein, sie mußte eine schlechte Frau sein, eine fortgelaufene Frau wie Numas Base Flavia, die sich einen der Tributforderer des Königs in den Kopf gesetzt hatte und von ihrem Vater durchgeprügelt worden war, bevor sie dem Mann dann tatsächlich nach Alba nachlief.
    Sie, die Fremde, die der Vater mit gleichbleibend rauher Stimme als ihre Mutter Larentia vorstellte, glich keiner der Frauen hier im Dorf. Ihr ärmelloses

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