Die Soldaten
nicht mehr möglich. Vielleicht war die Festung zerschmolzen wie Wachs und nun nur noch eine weitere unförmige Felsformation unter vielen.
Der Leutnant schüttelte den Kopf. Sein Helm fühlte sich an wie etwas, das frisch aus dem Ofen eines Schmiedes gekommen war. Es war alles so absurd. Linkerhand leuchtete das Grün der fruchtbaren Ebenen von Hessely. Der Sonnenmond war eigentlich eine wunderschöne Jahreszeit. Eine der liebsten des Leutnants während seiner vielen Jahre im milden Chlayst. Wenn die Sturmsee frische Brisen über die Stadt schickte, die nach Tang und Rogen dufteten. Sommers wie winters war die Sturmsee gut befahrbar gewesen. Nur im Frühjahr und im Herbst fuhr sie ihre Krallen aus und machte den Seeleuten das Leben schwer. Wie die Heugabelmänner . Wie die Freibeuter von Skerb.
Der Leutnant riss sich zusammen. Seine Gedanken schweiften schon wieder zum Meer ab und zu Chlayst. Aber hier gab es nirgendwo ein Meer oder eine Stadt. Hier gab es Staub und Felsen und jenseits der Felsen weitere Felsen und weiteren Staub. Und irgendwo dort drinnen schien ein Feuer zu lodern, das einem das Mark bei lebendigem Leib aus den Knochen kochte. Selbst in Chlayst gab es keine frischen Brisen mehr, sondern nur noch den Gestank von Gift und Auswurf.
Die Welt war im langsamen Untergehen begriffen. Die Anzeichen waren so eindeutig wie die Hufabdrücke hinter ihm im Staub.
Als der Leutnant die Festung erreichte, ritt er beinahe an ihr vorüber, ohne sie zu bemerken, so jäh und senkrecht fügte sie sich in jene zerklüftete Gebirgswand, die ihn nun schon seit sieben Tagen rechterhand leitete. Es war sein Pferd, das stehen blieb. Es witterte Artgenossen und kühles Brunnenwasser hinter dem Festungstor.
Der Leutnant hob den Blick und sah zum ersten Mal in seinem Leben die Festung Carlyr.
Sie bestand aus Stein, war aber nicht in den Stein gehauen worden, sondern mühsam aufgeschichtet und zusammengefügt. Sie verschloss einen Pass durch die Felsenwüste, den einzigen offenen Durchgang in das Land der Affenmenschen – den Hohlweg , wie er allgemein genannt wurde. König Rinwe hatte den Bau dieser Festung in Auftrag gegeben, nachdem er im Süden den Geisterfürsten niedergeworfen und das übrige Land mit eiserner Faust zur Einigkeit umgeformt hatte. Aus einem Grund, der in den beinahe siebenhundert seitdem vergangenen Jahren in Vergessenheit geraten war, hatte Rinwe das Land der Affenmenschen nicht erobern wollen, sondern sich stattdessen damit begnügt, die einzige Öffnung im Gebirge der Felsenwüste wie mit einem Korken zu verschließen: durch die Festung Carlyr.
Mittlerweile sah das trutzige Gemäuer heruntergekommen aus. Die Jahrhunderte hatten an ihm genagt wie Ratten. Weiter westlich, in Galliko, wo keine Gebirgskette das Affenmenschenland vom übrigen Kontinent abgrenzte, wurde immer wieder gekämpft, wurde die Stadt erneuert, aufrechterhalten, verstärkt, versorgt, besichtigt, gehegt und wie ein Heiligtum oder ein Kleinod des Trotzes verehrt. Aber in der Festung war es ruhig gewesen in den letzten Jahrzehnten. Erst der fehlgeschlagene Feldzug der Königin hatte Carlyr wieder auf den Landkarten erscheinen lassen. Das mit Magiern verstärkte Heer war stolz hier hindurch in das Affenmenschenland marschiert. Einige Wochen später waren die geschlagenen Überlebenden, an Körper und Seele krank wie die Einwohner Chlaysts, durch ebendiese Festung wieder zurückgekrochen.
Die den zivilisierten Landen des Kontinents zugewandte Vorderfront der Festung wurde von einem hohen, zweiflügeligen Tor aus schwarzem Holz beherrscht. Oben lief die Mauer in spitzen Zinnen aus, linkerhand sah man einen viereckigen Torturm, rechts nur zwei Banner: das blau-goldene der Krone und das verschnörkelte »C«, welches das Wappen der Festung Carlyr bildete.
Vom Torturm aus wurde der Leutnant erblickt. Dass er die Festung zuerst nicht bemerkt hatte, hatte ihn der Möglichkeit beraubt, seine Uniform wieder in Ordnung zu bringen. »Heda, was lungert Ihr dort herum?«, rief ein Soldat vom Turm herunter. Seine Stimme klang jedoch gar nicht so unfreundlich, sondern eher scherzend.
Der Leutnant förderte mit langsamen, müden Bewegungen aus seinen Satteltaschen ein zusammengerolltes Pergament zutage. Er hielt es hoch gegen die Sonne und rief heiser: »Leutnant Eremith Fenna von der Stadtgarde Chlayst. Ich habe Befehl, mich bei Oberst Ibras Jenko zu melden. Und ich habe ein Pferd aus der Garnison Ferbst mitgebracht.«
»Ahh«, entgegnete der
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