Die Somalia-Doktrin (German Edition)
Wand.
Der Tote musste der abgängige CIA-Agent gewesen sein. Und irgendjemand machte sich Sorgen, er könnte Jim vor seinem Tod noch etwas verraten haben; deshalb die Warnung. Das bedeutete, dass ihn jemand beobachtete.
Er nahm eine kalte Dusche, zog ein sauberes, wenn auch zerknittertes Hemd und Jeans an und schnallte darunter seinen Geldgürtel um. Seine Kopfschmerzen hatten sich etwas gelegt. Er ging über den Hof ins Büro und steckte seinen Laptop in den Internetport der Satellitenverbindung. Er lehnte sich in dem ächzenden Bürostuhl zurück und rief seine E-Mails ab.
Er sah sich in dem schummrigen Büro um. Auf dem Schreibtisch neben ihm lag eine Karte. Er zog sie näher heran. Es war eine politische Karte des Horns von Afrika; unverkennbar waren die Grenzen Somalias als »Sieben« zu sehen. Über einigen Kreisen in bestimmten Gegenden Somalilands sah er die Initialen »ML«. Ratlos lehnte er sich wieder zurück.
Sein Blick fiel auf die angerissenen Poster an den Wänden ringsum. Ein Foto eines hochgewachsenen weißen Arztes mit einem halb verhungerten afrikanischen Baby im Arm; darunter hieß es: »Miteinander machen wir Schluss mit der Armut.« Eine Weltkarte, auf der rote Punkte die Länder markierten, in denen Universal Action tätig war; man hätte meinen können, die NRO kontrollierte die halbe Welt. Ein körniges Schwarzweißfoto mit einer Reihe anscheinend gelangweilter Flüchtlinge vor einer Lebensmittelverteilstelle; darunter in großen weißen Lettern »Hilfe für die Hungernden, Spenden für Universal Action«.
»Und wie gefällt’s unserem Neuen bei uns?«
Es war Harrys tiefe Stimme. Jim fuhr auf dem Stuhl herum. Harry stand da, direkt hinter ihm, die Hände in die Hüften gestemmt, von Kopf bis Fuß in Militärkleidung, komplett mit grüner Mütze und einer Beretta am Gürtel. Jim hatte ihn nicht hereinkommen hören. Der Mann bewegte sich wie ein Geist. Harry streckte ihm eine Hand entgegen. Jim drückte sie vorsichtig.
»Na, gewöhnt man sich an das Klima?«
»Ja, danke«, sagte Jim.
»Bewundern Sie unsere Propaganda?« Harry wies auf die Poster rundum. »Ich nehme an, für Sie sind das Stereotypen.« Er schlug einen greinenden Ton an: »Die armen, hungernden, hilflosen Afrikaner, die unsere Hilfe brauchen.«
Jim zuckte die Achseln.
Harry lachte. Jim fiel sein Alptraum ein.
»Das liegt daran, dass sie unsere Hilfe tatsächlich brauchen«, sagte Harry, ohne den Augenkontakt abzubrechen. »Ohne unsere Unterstützung würde Afrika noch übler dastehen.«
Harry blickte Jim über die Schulter. Jim sah sich um. Harry versuchte völlig ungeniert die Themen von Jims E-Mails zu lesen. Jim schlug die Klappe des Laptops zu, zog den Stecker und stand auf.
»Ich muss mit Ihnen reden, Harry.«
»Ich hoffe, der kleine Zwischenfall in Ihrem Zimmer hat sie nicht zu arg mitgenommen. Afrika ist ein gefährliches Pflaster, wissen Sie.«
»Dessen bin ich mir bewusst.«
»Wenn man sich nicht an die Regeln hält, kann einem schnell was passieren.«
Jim trat an ihn heran, bis sein Gesicht Harrys beinahe berührte. Er konnte die Pockennarben auf seiner Haut sehen: das Zeichen des schweren Trinkers.
»Was genau«, fragte Jim, »wollen Sie damit sagen?«
»Ich sage, was ich grade gesagt habe. Man macht, was einem gesagt wird, und alles ist in Butter.«
In einer ironischen Geste der Freundschaft tätschelte Harry Jim die Schulter. Jims Muskeln verspannten sich. Harry schien es zu spüren und lächelte. Dann wandte er sich ab und ging hinaus. Jim blieb mit dem verstärkten Eindruck zurück, dem Mann schon irgendwann mal begegnet zu sein. Aber wo? So auffallend, so enervierend wie der Kerl war, hätte man meinen mögen, so jemanden nie wieder vergessen zu können.
Jim wandte sich wieder seinen E-Mails zu. Er sortierte den üblichen Spam aus, all den Müll, der einem etwas anzudrehen versuchte, von Viagra bis zur falschen Rolex, und öffnete dann eine Mail von Sarah.
Hi Jim. Gibt’s was Neues?
Er tippte die Antwort ein:
Ich habe ihn gefunden. Männlich, Mitte 40, Amerikaner. Gefoltert, geköpft. Ich möchte hier nicht ins Detail gehen…
Er schickte die Mail ab und wartete einige Sekunden, bis sie aus der Mailbox verschwunden war. Sarah saß in Washington. Es herrschte dort zwar Nacht, aber ihr Blackberry war immer an. Sie war vermutlich noch wach. So effizient und auf die Arbeit konzentriert wie sie war, fragte er sich hin und wieder, ob sie überhaupt jemals schlief.
Er ging die anderen E-Mails
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