Die Somalia-Doktrin (German Edition)
die Polizei in Annes Wohnung. Ein Kopf kam aus dem Fenster unter ihm. Er hörte einen Feuerstoß aus einer Maschinenpistole. Die Geschosse fuhren vielleicht eine Handbreit an ihm vorbei.
Harry lief los, sprang auf das Dach des Nachbarhauses und versteckte sich hinter dem Schlot. Er spähte um die Ecke. An genau der Stelle, an der er eben noch gewesen war, sprangen einige Leute des Sonderkommandos aufs Dach. Sie sahen sich um, entdeckten ihn aber nicht. Er kroch auf dem Dach entlang und stieg dann über eine Feuerleiter hinab in die Avenue de Wagram. Er steckte die Waffe weg und zog sein Jackett zurecht. Seine Feinde waren nicht von Pappe, aber von ihm konnten sie noch was lernen.
Nichtsdestoweniger hatte er ein Problem. Jerome und Anne waren noch immer am Leben und befanden sich jetzt in der Obhut der Polizei. Interpol war ihm näher, als er erwartet hatte. Anne wusste über seine Beziehungen zu MainShield und Othman Bescheid.
Harry ging die Straße hinauf bis zur Avenue des Champs Elyssées. Er trat in ein Café und bestellte sich einen doppelten Espresso mit Croissant. Er hatte zwei Möglichkeiten: Entweder er sprach mit Edward, erklärte ihm die Situation und stellte sich seinem Zorn – oder er unternahm einen weiteren Anschlag auf Anne und Jerome.
Er hielt es für besser, es nochmal zu versuchen. Er konnte Edward nicht im Stich lassen.
Er scrollte durch die Liste seiner Kontakte in seinem Telefon, bis er auf einen gewissen Gérard Dechamps stieß. Dechamps war der Chef der Pariser Polizei und Harry wusste das eine oder andere über ihn, das er wahrscheinlich kaum an die große Glocke gehängt sehen wollte.
Harry lächelte. Hatte ja keiner behauptet, dass es einfach sein würde. Er trank seinen Espresso, biss herzhaft in sein Croissant und ging dann, ohne zu zahlen. Er würde Gérard anrufen und ihn dazu bringen, Jerome und Anne ausfindig zu machen. Dann konnte er sie exekutieren. Ein für alle Mal.
Zuerst jedoch musste Harry nach Südfrankreich. Dazu nahm er am besten den Hochgeschwindigkeitszug.
Er musste zu einem Meeting, das seine Pläne besiegeln würde.
Kapitel 25
Jomo Kenyatta International Airport, Kenia
22. September 2003
»Stanley Hotel«, sagte Jim zu dem Taxifahrer mit den Dreadlocks, der sie aus Nairobis internationalem Flughafen fuhr. Er warf einen Blick über die Schulter durch die Heckscheibe. An der Wand lehnte ein drahtiger Mann mit grüner Mütze mit einer Zigarette im Mund. Er sah ihnen nach.
Maxine drückte Jims Hand. »Bist du sicher, dass das eine so gute Idee ist? Sollten wir nicht woanders absteigen?«
»Keine Bange. Ich habe einen Plan.« Jim hörte sich zuversichtlicher an, als er eigentlich war. Er blickte zum Fenster hinaus in den dichten Verkehr. »Egal, aber sag doch, wie bist du denn eigentlich Nasir auf dem Parkplatz in Addis entwischt?«
»Du warst eine Ewigkeit weg und da haben wir uns gründlich ausgesprochen. Ich erklärte ihm, dass mir an UA nicht mehr liegt als dir. Erst hat er mir nicht geglaubt, aber ich konnte ihn überzeugen.«
»Wie denn?«
»Ich habe ihm von meinem Leben erzählt, meinen Eltern, meiner Schwester und alldem. Er verstand und beschloss, mir zu helfen. Ihm war klar, dass ich gefesselt niemandem helfen konnte.«
»Und da hat er dir einfach dein Telefon zurückgegeben und ließ dich deiner Wege gehen?«
»Nicht direkt«, sagte Maxine mit einem Anflug von Entrüstung. »Wir haben uns darauf geeinigt, dass ich dich im Hotel suchen soll, während er draußen bereit steht, euch zu folgen, falls man dich festnehmen sollte. Aber dann haben wir dich im Verkehr verloren. Also haben wir uns die Nacht über versteckt. Ich wollte es am Morgen am Flughafen versuchen. Ich wusste, du würdest nach Nairobi wollen. Wenn du mir nicht glaubst, frag ihn doch selbst.«
»Kein Grund zur Aufregung. Du bist ja nicht eben ein Ausbund von Offenheit.«
»Ich weiß. Sorry.«
»Hast du eine Ahnung, wie wir ihn finden können?«, fragte Jim. »Ich habe mein Telefon im Truck gelassen.«
»Er ist einfach losgefahren, nachdem er mich in Addis am Flughafen abgesetzt hatte. Er hat nicht gesagt, wo er hin will, und ich habe ihn nicht gefragt.«
Das Taxi steckte mitten in einem der für Nairobi typischen Staus. Am Straßenrand hockten in kleinen Gruppen Obdachlose, deren Kinder im Dreck spielten. Hinter ihnen stand ein überbesetzter »Matatu«-Minibus voll reflektierender Aufkleber. Vor ihnen war ein Taxi stehengeblieben; der Fahrer spähte in den Qualm unter der
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