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Die Somalia-Doktrin (German Edition)

Die Somalia-Doktrin (German Edition)

Titel: Die Somalia-Doktrin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Grenton
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und seither war niemand dazugekommen. Er konnte noch immer nicht verstehen, warum man sie verschont hatte. Vielleicht plante die Miliz eine öffentliche Exekution oder etwas dergleichen, als Zeichen der Stärke. Er war aus einem anderen Clan als die Milizleute, er schloss diese Möglichkeit also durchaus nicht aus.
    Guleed winkte mit der Hand. Die Milizleute sprangen aus den Lastern. Drei Männer zogen eine Karre voll Khatblätter herüber. Kauend und unter lauten Scherzen begannen die Milizleute sie zu verteilen. Die Sonne war am Untergehen; Häuser und Hütten warfen lange Schatten. Abgesehen von den Milizleuten und den Khat-Händlern waren die Straßen jetzt leer.
    Trotz der stimulierenden Wirkung des Khat schliefen die Männer einer nach dem anderen ein, einige in den Lastern, andere zwischen den Schutthaufen. Mord und Totschlag und die tagelange Reise hatten sie völlig erschöpft. Nur einige Wachposten blieben auf. Diese Gegend von Mogadishu war ihr Revier.
    Still bat Abdi Allah um Kraft. Seine Lippen waren ausgedörrt und seine Gelenke schmerzten. Die Erinnerung an das Massaker im Lager wollte ihm nicht aus dem Sinn. Trauer hatte sich seiner bemächtigt wie eine stählerne Faust. Schweiß lief ihm von der Stirn.
    Nach einer Weile beruhigte er sich wieder, war aber wie ausgelaugt. Er tat einen tiefen Atemzug und tippte seinem Sohn auf den Kopf, um ihn zu wecken. Der Zeitpunkt für die Flucht war gekommen. Am Morgen würde man sie sicher exekutieren.
    In fast völliger Dunkelheit saßen die beiden hinten in ihrem Lkw. Die Tür stand einen Spalt breit offen und ließ einen Streifen Mondlicht herein. Eine ganze Reihe von Milizleuten schlief zwischen ihnen und der Tür. Abdi und Khalid standen auf und krochen über sie hinweg, schoben die Tür etwas weiter auf und stiegen hinaus. In den Flüchtlingslagern hatten sie beide gelernt, sich lautlos zu bewegen, schließlich waren diese Lager oft nicht weniger gefährlich als Somalias Städte, vor allem nachts.
    Zehn Meter weiter saß ein Wachposten mit dem Rücken zu ihnen. Abdi pochte das Herz in der Brust. Wenn man sie erwischte, würde man sie foltern und erschießen. Er umfasste Khalids Hand. Sie gingen in die entgegengesetzte Richtung, auf einige verlassene Häuser am Rande des Platzes zu.
    Khalid hustete. Beide erstarrten. Der Wachposten regte sich, sah sich jedoch nicht um. Wahrscheinlich kaute er voll Hingabe Khat.
    Sie stiegen über einen Trümmerhaufen und setzten sich hinter eine baufällige Wand. Obwohl man sie damit nicht mehr sehen konnte, waren sie noch lange nicht außer Gefahr. Der seit zwanzig Jahren währende Krieg zwischen den Clans hatte Somalia zerrissen. Es galt also, Angehörige ihres eigenen Clans zu finden, bei denen sie unterkommen könnten, sonst überlebten sie das hier nicht.
    Abdi blickte auf Khalid hinab. Selbst im schwachen Mondlicht sah er, wie kaputt sein Sohn war und obendrein schlimm verletzt, die Lippen geschwollen, die Nase zerschlagen. Immer wieder fielen dem Kleinen die Augen zu. Er wollte sich eben hinlegen, als Abdi nach ihm griff. Sein Sohn sah ihn fragend an.
    »Minen«, flüsterte Abdi ihm ins Ohr. Die Ruinen waren höchstwahrscheinlich vermint, um zu verhindern, dass feindliche Milizen sich darin versteckten.
    Abdi nahm Khalid bei der Hand und führte ihn, den Blick aufmerksam vor sich auf den Boden gerichtet, durch die Trümmer. Nach einer Ewigkeit, wie es schien, gelangten sie auf der anderen Seite der Ruine auf eine verlassene Straße und drückten sich im Dunkeln an den Wänden entlang. Abdi war nie in Mogadishu gewesen, so dass er nur beten konnte, dass sie in eine Richtung liefen, die wenigstens ein Minimum an Sicherheit bot. Mehrere Stunden gingen sie so dahin. Khalid, der die Füße kaum noch hochbrachte, stolperte über jeden Stein.
    Das Ausmaß der Verwüstung war schockierend, selbst für Abdi, und er hatte Anfang der 1990er-Jahre die Zerstörung Hargeysas durch die Luftwaffe des somalischen Diktators Siad Barre erlebt. Hier in Mogadishu waren ausgebrannte Fahrzeuge und alte sowjetische Panzer übrig geblieben; verlassen und verrostet standen sie auf den Straßen herum. Gelegentlich huschte ein streunender Hund an ihnen vorbei auf der Suche nach etwas Nahrung und schaute die beiden verdächtig an, als überlegte er, wie schmackhaft sie waren.
    Die Sonne begann aufzugehen. Sie versteckten sich in der Ruine eines großen Hauses. Khalid schlief sofort ein. Abdi saß da, gegen die Reste einer Mauer gelehnt. Alles, was

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