Die Somalia-Doktrin (German Edition)
Gemeinschaftsraum. Er holte sich ein Heineken aus dem Kühlschrank und nahm sich ein Glas. Er sank in einen mottenzerfressenen Polstersessel, nippte an seinem Bier und beobachtete eine Kakerlake beim Erklettern der sich schälenden gelben Wand.
Nach all den Jahren waren die Erinnerungen immer noch lebendig und kaum zu kontrollieren. Sie stellten sich unvorhersehbar gern im falschen Augenblick ein. Die Gesichter der toten Kameraden. Die Leichen. Die Schreie. Der Schmerz.
Mach was. Gib deinem Verstand was zu tun.
Er holte seinen Laptop aus dem Rucksack, fuhr ihn hoch und tippte sein Passwort ein. Er schrieb seinen Bericht besser gleich. Sarah, seine Chefin bei Interpol, hatte ihm gesagt, dass es alles andere als einfach sein würde dahinterzukommen, was hier geschah. Er überflog die Notizen des Briefings vor seiner Abreise. Der Informationsgehalt war praktisch gleich null. Im Grunde hatte er nur einiges über die Geschichte Somalias: die brutale Kolonialisierung, die Freude über die Unabhängigkeit, General Siad Barres verheerender Militärputsch, sein blutiger Sturz, die Hungersnot von 1992, die zu der unseligen Intervention der USA geführt hatte, die Abspaltung von Somaliland als unabhängige, aber von keinem anderen Staat der Welt anerkannte Demokratie.
Kein Wort über seine eigentliche Mission, die Ermittlungen gegen Universal Action. Interpol hatte ihm in typischer Umsicht eine Legende als ehemaliger Experte für Binnenvertriebene bei USAID angepasst. Ihm den Job bei UA zu verschaffen, war da schon schwieriger gewesen, aber durch gezieltes Schmieren der richtigen Hände hatte man es geschafft. Normalerweise hätte Interpol seinen Einsatz an das Regionalbüro Ostafrika in Nairobi oder Somalias Nationales Zentralbüro gemeldet, Interpols Anlaufstelle im Land. Sarah jedoch wollte eine so sensible Mission auf keinen Fall einem korrupten Polizeiapparat vor Ort anvertrauen.
So hatte sie denn eine geheime Sonderkommission eingerichtet und Jim rekrutiert. Er war neu gewesen, konnte sich aber bald als einer ihrer besten Nachrichtenanalytiker profilieren.
Nur gab es keine handfesten Beweise gegen Universal Action, gerade mal Bauchgefühl und verstreute Informationen über die Beziehungen der NRO zur Miliz. Und dann war da noch Edward Ostely. Seit er drei Jahre zuvor beigetreten war, hatte er es im Handumdrehen an die Spitze von Universal Action gebracht. Sarah zufolge viel zu schnell. Ostely verkaufte UA als Lieferant eines »geschäftsorientierten« und »professionellen« neuen Hilfsansatzes auf der Basis »durchschlagender« und »rascher Resultate«.
Sarah hatte den Verdacht, dass die Realität vor Ort ganz anders aussah als die, mit der UA mittels einer millionenschweren Image-Maschinerie für sich warb.
Und was war mit Harry Steeler? Er war seit einem Jahr bei UA und galt als einer der kommenden Leute der NRO. Sarahs Ansicht nach hatte Steeler noch weit mehr als Ostely mit den Ereignissen in Somaliland zu tun.
Wer war der Mann? Wo kam er her? Was hatte er vor?
Jims Telefon meldete sich, insistierend und schrill. Es war Sarah.
»Kannst du sprechen?«, fragte sie.
»Wieso rufst du an?«, fragte er leise. »Wir haben doch abgemacht, nicht unnötig zu telefonieren.«
»Ich weiß. Aber es ist wichtig. Kannst du sprechen?«
Er warf einen Blick aus dem Fenster mit der gesprungenen Scheibe. »Kein Mensch da.«
»Die CIA hat den Kontakt zu ihrem Agenten verloren.«
»Welchem Agenten?«
»Der, den sie in Hargeysa hatten.«
»Wieso haben wir davon nichts gewusst?«
»Wir haben nicht gefragt.«
»Ganz schön nachlässig«, sagte Jim. »Ziemlich offensichtlich, dass die nach 9/11 Agenten oder was hier haben. Was ist passiert?«
»Der Mann operierte verdeckt. Man hatte ihm einen Job bei UA verschafft. Hat sich seit einer Woche nicht mehr gemeldet. Man macht sich Sorgen.«
»Woher wissen die denn, dass wir hier sind?«, fragte Jim sie.
»Keine Ahnung. Sie wollen, dass wir beim Nationalbüro Somalia nach Entführungen und Morden anfragen.«
»Als ob die was wüssten.«
»Deshalb spreche ich ja mit dir.«
»Wo war er denn?«
»Er hat sich in UA-Hilfslagern umgesehen. Er meldete Langley, dass er was entdeckt hätte. Seither kam nichts mehr.«
Jim war, als hörte er den Groschen in seinem Hinterkopf fallen.
»Sie halten sich aufreizend bedeckt«, sagte Sarah. »Wie wir etwas unternehmen sollen, wenn sie uns nichts sagen, ist mir ein Rätsel.«
»Wie sieht er denn aus?«, fragte Jim.
»Das wollten sie
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