Die Sommerfrauen: Roman (German Edition)
plärrte aus Lautsprechern, die an Holzpfählen hingen. Ellis und Julia drückten sich aneinander, suchten Schutz vor der sengenden Hitze.
Es lief »Dancing in the Dark« von Bruce Springsteen. Unbewusst wippten die beiden nach kurzer Zeit im Takt der Musik.
»Woran erinnert dich das Lied?«, fragte Julia, als sie die Angebote auf der Tafel las.
»Mich?« Unter ihrer Bräune errötete Ellis.
»Ich wusste es!«, kicherte Julia. »An meinen fünfzehnten Geburtstag, als du mit Mikey Cavanaugh rumgeknutscht hast.«
»Bist du bitte leise?«, sagte Ellis. »Die Leute können dich hören.«
»Na, und?« Julia drehte sich, bewegte sich nach rechts und links und summte dabei das Lied, das an der Junior-Highschool ihre Hymne gewesen war. »Mensch, warst du damals heiß auf Mikey Cavanaugh! Meine Mutter hat gesehen, wie du hinter der Garage mit ihm rumknutschtest, weißt du das? Sie wollte deine Mutter anrufen und es ihr erzählen, aber Papa meinte, sie sollte sich um ihren eigenen Kram kümmern. Oh, Ellis, du warst damals ein ungezogenes Mädchen.«
»Sei leise!«, sagte Ellis und wurde rot bei der Erinnerung daran, wie sie den niedlichsten Jungen der ganzen Party geküsst hatte.
»Ja, bitte?« Die Bedienung hinter der Theke war eine Latina mit einem gequälten Gesichtsausdruck. Sie trug eine alberne Kappe, die wie eine Eiswaffel geformt war. »Ma’am?«, sprach sie Julia an, die geträumt hatte.
Ellis stieß Julia an. »Hey, du bist dran.«
»Ah, ja. Mal sehen. Ähm, haben Sie gelato ?«
»Julia, wir sind hier in Nag’s Head, nicht in Rom«, sagte Ellis. »Hier gibt’s normales Eis, keine italienische Handwerkskunst, ja?« Sie lehnte sich gegen die Theke. »Bitte eine Kugel Rocky Road im Becher und eine Kugel Caffee Chocolate Chip in der Zuckerwaffel. Und zwei große Becher Eiswasser, bitte.«
Ehe Julia einschreiten konnte, hatte Ellis eine Fünf-Dollar-Note hinübergereicht und warf das Wechselgeld in ein Trinkgeldglas, das prominent auf der Theke platziert war.
In beiderseitigem Einverständnis quetschten sie sich ans Ende einer Picknickbank. An dem Tisch schob eine junge Mutter ihrem sandbeschmutzten Kleinkind einen Löffel nach dem anderen in den jammernden Mund.
»Find ich unglaublich, dass du nach so vielen Jahren noch wusstest, dass ich Rocky Road im Becher esse, nicht in der Waffel«, sagte Julia und tauchte den kleinen Plastiklöffel in den Pappbecher.
»Und ich finde es unglaublich, dass du dich immer wieder an Mikey Cavanaugh erinnerst – nach zwanzig Jahren«, sagte Ellis. »Hat deine Mutter uns wirklich zusammen gesehen, oder sagst du das nur, um mich zu ärgern?«
»Doch, hat sie!« Julia nickte nachdrücklich. »Weißt du, sie war bis zu ihrem Tod der Meinung, du hättest einen schlechten Einfluss auf mich.«
»Ich?«, höhnte Ellis. »Ich war immer die Stimme der Vernunft. Die Vernünftige. Wenn ich nicht gewesen wäre, wärst du im Knast oder in der Hölle gelandet.«
»Ich weiß«, sagte Julia. »Ellis Sullivan, der Chauffeur vom Dienst. Mama dachte immer, ich wäre der Engel und du der Teufel, und ich hatte nicht vor, ihr das auszureden. Und als du mit dem College aufgehört und dich verlobt hast, sagte Mama, sie sei froh, dass du nun endlich mit einem netten Jungen zur Ruhe kämst. Sie hatte nicht mal was dagegen, dass er Jude war und ein Yankee aus dem Norden.«
Ellis seufzte. »Die Gute. Aber deine Mutter hatte echt keine Ahnung.«
»Hast du noch mal von ihm gehört?«, fragte Julia und neigte den Kopf zur Seite. Die drei, Julia, Dorie und Ellie, hatten sich vor langer Zeit geschworen, den Namen von Ellis’ Exmann nie wieder auszusprechen. »Für uns ist er gestorben«, hatte Dorie nach dem Scheitern der dreimonatigen Ehe verkündet.
Sein Name war Ben Greene, und zusammen mit der Hochzeit und der Ehe war er, soweit den Freundinnen bekannt, wie ein Wunder aus Ellis’ Erinnerung getilgt. Die Sache war so dermaßen untypisch für Ellis, dass sie sich beinahe einreden konnte, sie sei gar nicht passiert. Beinahe.
»Hab seit Jahren nichts mehr von ihm gehört«, sagte sie, was offiziell auch stimmte. »Als Letztes hab ich erfahren, dass er wieder geheiratet hat. Ich glaube, sie haben ein Kind.«
Durch die Wunder von Google hatte Ellis Greene Acres entdeckt, den Blog von Bens zweiter Frau. Ellis wusste ganz genau, wo Ben wohnte (in Winnetka), was er beruflich machte (er führte das Möbelimportgeschäft seiner Familie) und wie seine neue Frau hieß, nämlich Sherry. Ellis wusste,
Weitere Kostenlose Bücher