Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Sonate des Einhorns

Die Sonate des Einhorns

Titel: Die Sonate des Einhorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter S. Beagle
Vom Netzwerk:
Linien festgezurrt hast?«
    »Na, dann gebe ich sie den Menschen«, sagte Joey betreten. »Also, da wo ich herkomme, gibt es alle möglichen Menschen, die liebend gern die Musik der Ältesten spielen würden. Die können sie aus dem lernen, was ich gerade aufschreibe, und dann überall auf der Welt spielen. In meiner Welt auf der anderen Seite der Grenze.«
    »Ah«, sagte die Bach-Jalla. »Und was dann?«
    »Woher soll ich denn das wissen?« gab Joey zurück. »Das sind doch erwachsene Leute, ich bin nur ein Kind, was weiß ich denn schon? Sie spielen die Musik einfach, mehr nicht, und vielleicht werde ich berühmt und komme ins Fernsehen. Und fang jetzt nicht wieder an – vom Fernsehen habe ich dir schon erzählt.«
    Lässig streckte sich die Bach-Jalla im Wasser aus und schnappte sich einen Fisch, ohne ihn genau anzusehen. Während sie präzise und nachdenklich daran herumknabberte, als nagte sie Maiskörner vom Kolben – und Joey wegschauen mußte –, bemerkte sie: »Aber mich wirst du nicht haben.« Joey antwortete nicht. Leise sagte die Bach-Jalla: »Das mit dem Schreiben verstehe ich jetzt, auch mit den Büchern und Bildern, sogar das Fernsehen. Aber nichts davon bin ich. Du kannst mein Bild malen, du kannst jedes Wort aufschreiben, das ich sage, aber wenn das alles getan ist, schwimmst du trotzdem nicht im Fluß mit mir, hörst nicht, wie ich dich Schwester nenne. Also ist das doch alles lächerlich. Komm und fang Fische mit mir.«
    Auf den Spuren der Shendi zu bleiben, war noch schwieriger, als Abuelita zu hüten. Shendi bleiben ein Leben lang beim selben Partner, und meist leben sie mit anderen Pärchen in Sippen zusammen. Doch keines der Drachengelege, die Joey kannte, war an den heißen, trockenen Orten zu finden, an denen die Shendi normalerweise ihre Eier ablegten und ihre handflächengroßen Kinder großzogen. Eines späten Nachmittags endlich stieß sie auf eine kleine Schar in einer flachen Schlucht im Abendrotwald, wo sie in einem feuchten, hohlen Stamm Schutz suchten… erschreckend untypisch für die Shendi. Abuelita stand etwas abseits und sah sich an, wie die Kleinen zu fliegen versuchten, während die Erwachsenen sie im Auge behielten. Der Lord Sinti war bei ihr.
    Joey lief zu Abuelita und drückte sie fest an sich. In ihrem besten Spanisch sagte sie: »Großmutter, von jetzt an mußt du immer ganz in meiner Nähe bleiben. Es könnte sein, daß wir ganz schnell weg müssen.«
    Abuelita lächelte. »Das einzig Gute daran, so alt zu sein wie ich, Fina, ist, daß man nichts mehr ganz schnell machen muß.« Sie zwinkerte und nickte dann dem schwarzen Einhorn zu. Er weiß es.«
    Sinti sagte zu Joey: »Es war klug von dir, diesen Ort zu suchen. Ich denke, hier wird der Übergang sein, wenn die Verschiebung kommt.«
    »Du denkst es«, antwortete Joey. »Du bist nicht sicher.« Sinti antwortete nicht. Joey holte tief Luft: »Indigo sagt, daß die Ältesten auf der anderen Seite der Grenze überleben können. Es stimmt, ich habe sie gesehen.« Das schwarze Einhorn wartete, rührte sich nicht. »Und… und er sagt, daß die Ältesten nicht ewig leben. Er sagt, es wäre eine Lüge …« Ihre Stimme erstarb mit den letzten Worten.
    »Kind, niemand lebt ewig«, sagte Abuelita. »Das darf nicht sein. Das hätte ich dir sagen können.« Sinti schien sich innerlich zurückzuziehen, wurde augenblicklich größer und dunkler und irgendwie weniger massiv: ein großer Dämmerungsschatten, niedergedrückt von seiner eigenen düsteren Weisheit.
    »Vielleicht ist es das, was uns aneinander bindet«, sagte er. »Deinesgleichen und meinesgleichen, eure Welt und unsere. Unser Leben ist so viel länger als eures, sogar viel länger als das Leben der Tirujai, so lang, daß wir tatsächlich manchmal vergessen, daß wir nicht unsterblich sind. Und dennoch fürchten wir den Tod so sehr wie ihr… vielleicht sogar noch mehr, weil Shei’rah so viel freundlicher zu uns ist als eure Welt zu euch. Es beschämt uns, dieses Wissen, daß wir sterben müssen, und wenn wir es vor unseren Kindern verheimlichen, verheimlichen wir es auch vor uns selbst, so gut wir können. Ich glaube ganz fest, daß wir einmal anders waren, doch das war selbst noch vor meiner Zeit, und das ist jetzt die ganze Wahrheit.«
    »Ay, ihr solltet unbedingt ins Silver-Pines-Seniorenheim kommen«, sagte Abuelita sanft. »Wenn ihr sehen wollt, was passiert, wenn man seine Kinder belügt.«
    Noch immer sah Sinti Joey an. »Ich habe es dir schon einmal gesagt:

Weitere Kostenlose Bücher