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Die Sonate des Einhorns

Die Sonate des Einhorns

Titel: Die Sonate des Einhorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter S. Beagle
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von Anfang an, in jeder einzelnen Generation, hat es immer Älteste gegeben, welche die Grenze in menschlicher Gestalt überquert haben. Doch ich habe nicht erwähnt, daß einige nie zurückgekehrt, sondern für immer zwischen euch verschwunden sind. Es war ihre eigene Entscheidung, und wir achten sie, doch ermutigen wir niemanden dazu.« Abrupt wandte er sich ab, doch seine Stimme klang noch reuevoll in Joeys Denken nach. »Vielleicht ist unsere Erblindung das Ergebnis dessen, was wir zu sehen uns geweigert haben. Es könnte sein.«
    Abuelita beobachtete, wie er zwischen den blauen Bäumen verschwand, und sagte zu Joey: »Er spricht so schön. So hat dein Großvater immer nach dem zweiten Glas Pulque gesprochen.« Das lange, weite Kleid, das sie auf ihren gemeinsamen Ausflug mitgenommen hatte, weil Joey sie dazu überredet hatte, war am Saum zerfetzt und voller Flecken von der Erde und dem Gras Shei’rahs; doch hatten ihre braunen Wangen eine warme Farbe, die Joey noch nie zuvor gesehen hatte, und ihre Augen funkelten wie der Strom der Bach-Jalla in der Nachmittagssonne. Sie sagte: »Danke, daß du mich hergebracht hast, Fina. Wo auch immer wir sein mögen.«
    »Ich weiß es nicht«, sagte Joey. »Also für mich ist es okay, aber wenn man es genau bedenkt, gibt es in Shei’rah nicht besonders viel zu tun, weißt du. Wahrscheinlich wird dir mit der Zeit langweilig.«
    Abuelita lächelte. »Fina, drüben in Silver Pines bieten sie alles mögliche für alte Leute an. Es gibt Golf, es gibt Pingpong, Schreibkurse, Kostümparties, Theaterstücke… man kann sogar Karate und Massage lernen, wenn man will. Aber hier kann ich zum ersten Mal seit sehr langer Zeit einfach sein. Sitzen und den ganzen Tag an nichts denken. Blumen riechen, die ich im ganzen Leben noch nicht gerochen habe. Dem kleinen Mädchen im Wasser Geschichten erzählen oder trinken und tanzen mit diesen haarigen Leuten, die so komisch riechen. Muß niemandem irgendwas erklären. Wenn du so alt bist wie ich, Fina, wirst du verstehen, wie gut es tut, wenn man nichts mehr erklären muß.«
    Eines der Shendi-Kinder entging für einen Moment den wachsamen Augen seiner Eltern, stakste zu Abuelita hin, stellte seinen geschuppten, klauenbesetzten Fuß auf ihren Schuh und zischte sie an. Abuelita ging bequem in die Hocke, streckte die Hand aus und gurrte: »Ven aqui, kleiner Schatz, kleiner Bösewicht, komm her.« Der kleine Drache huschte rückwärts, stolperte über seine eigenen Füße, raffte sich auf und näherte sich noch einmal argwöhnisch den braunen Fingern. Abuelita sah zu dem Männchen und dem Weibchen hinüber, die nun warnend ihre schwarz gerippten, türkisfarbenen Flügel hoben, und sagte deutlich: »Ich bin niemand. Ich bin ein Baum, ein Stein, ein Sonnenstrahl, mehr nicht.« Ganz langsam ließen sie wieder die Flügel sinken.
    Joey sagte: »Es ist nicht zu fassen! Seit Monaten versuche ich, in ihre Nähe zu kommen!« Schließlich nahm sich das Shendi-Kind ein Herz und kletterte in Abuelitas hohle Hand. Ohne aufzustehen, führte sie diese nah an ihr Gesicht, und die beiden sahen einander lange an.
    »Na ja, alt zu sein bringt noch etwas mit sich«, sagte Abuelita. »Die anderen fürchten sich nicht mehr so sehr vor einem.« Sie setzte den Drachen auf die Erde, und dieser stolzierte zu seinen Eltern zurück, die doppelt so groß aussahen wie er. Das Weibchen schlug ihn prompt zu Boden und sammelte ihn dann ein. Abuelita sagte: »Fina, ich weiß, daß wir etwas gegen diese Blindheit tun können. Es muß mir jeden Moment einfallen.«
    »Abuelita, hast du gehört, was ich gesagt habe?« fragte Joey. »Es könnte sein, daß wir ganz, ganz schnell weg müssen, sonst gehen wir über die Grenze und kommen in China oder sonstwo raus.«
    »Mmmm«, brummte Abuelita. Noch immer hockte sie am Boden, schloß die Augen. »Wäre das nicht was, China?« Da gab Joey es auf und ließ sich neben sie plumpsen, auf dem Bauch liegend sah sie sich die kleinen Drachen an.
∗ Zehntes Kapitel ∗
    Es fiel Abuelita wieder ein, und zwar mitten in einer mondlosen Nacht, die so warm war, daß sie und Joey draußen schliefen, gemütlich zusammengerollt an einem geschützten Hang, nicht weit vom Abendrotwald entfernt. Sie setzte
    sich auf, als hätte sie gar nicht geschlafen, versetzte Joey einen Schlag an die Hüfte und verkündete lauthals: » Oro! Gold ist es!«
    »Etwas lauter«, murmelte Joey, zu benommen, um Spanisch zu sprechen. »Vielleicht gibt es da draußen noch einen

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