Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra (German Edition)
quer durch die Regale. Die kürzeste Konstellation, die in roter Sandfarbe daherkommt, beschreibt ein kleines Z, sie besteht nur aus vier Datenpunkten. Die längste, in dunklem Moosgrün, windet sich in einem ausholenden, gezackten Oval durch den ganzen Laden.
Es ist immer noch nicht besonders beeindruckend. Ich versetze der 3-D-Buchhandlung per Touchpad einen Schubs und lasse sie um ihre Achse kreisen. Ich stehe auf und drücke die Beine durch. Auf der anderen Seite des Schreibtischs greife ich mir einen von den Dashiell Hammetts, die kein Mensch beachtet hat, seitdem sie mir an meinem ersten Tag ins Auge gefallen sind. Das ist traurig. Ich meine, im Ernst: Regale voller hirnlosem Quatsch erhalten die volle Aufmerksamkeit, während Der Malteser Falke Staub ansetzt? Das ist mehr als traurig. Das ist dumm. Ich sollte mich nach einem anderen Job umsehen. Dieser Laden macht mich noch verrückt.
Als ich zum Schreibtisch zurückkehre, dreht sich die Buch handlung immer noch, wirbelt herum wie ein Karussell … und etwas Merkwürdiges passiert. Bei jeder Umdrehung bleibt die Moosgrün-Konstellation stehen und nimmt Gestalt an. Nur für einen Moment formt sie ein Bild und – das kann nicht sein. Ich knalle die Hand aufs Touchpad, bremse das Modell ab, bis es anhält, und lasse es wieder anfahren. Die Konstellation aus Moosgrün setzt sich zu einem klaren Bild zusammen. Auch die anderen Konstellationen passen sich ein. Keine ist so vollständig wie die moosgrüne, aber die eine beschreibt eine Kinnlinie, eine andere den Bogen eines Auges. Wenn das Modell aufrecht steht, als würde es zur Ladentür hereinschauen – ganz in der Nähe der Stelle, an der ich gerade sitze –, erwachen die Konstellationen zum Leben. Sie bilden ein Gesicht.
Es ist Penumbra.
Das Glöckchen bimmelt und er betritt den Laden, gefolgt von einer langen Schleppe aus Nebel. Ich bekomme keinen Ton heraus und weiß nicht, wie ich anfangen soll. Ich habe zwei Penumbras gleichzeitig vor mir: einen, der mir als Gitter netzmodell auf meinem Laptop-Monitor stumm entgegenstarrt, und den anderen, einen alten Mann in der Tür, auf dessen Gesicht sich jetzt ein Lächeln ausbreitet.
»Guten Morgen, mein Junge«, sagt er fröhlich. »Ist in der Nacht irgendetwas Erwähnenswertes vorgefallen?«
Einen Moment lang erwäge ich tatsächlich, den Deckel meines Laptops zuzuklappen und diese Sache für immer auf sich beruhen zu lassen. Aber nein: Ich bin zu neugierig. Ich kann nicht einfach an meinem Schreibtisch sitzen und zulassen, wie sich dieses Netz aus Merkwürdigkeit, das mich umgibt, immer weiter ausbreitet. (Das trifft auf viele Jobs zu, wird mir klar, aber hier geschieht möglicherweise etwas Magisches, mit ziemlich hohem Schrägheitsfaktor.)
»Was hast du da?«, fragt er. »Hast du mit der Arbeit an der Website begonnen?«
Ich drehe meinen Laptop so, dass er ihn sehen kann. »Nicht ganz.«
Halb amüsiert hält er sich seine Brille unter die Augen und späht auf den Bildschirm hinunter. Sein Gesicht sackt zusammen, dann sagt er leise: »Der Gründer.« Er dreht sich zu mir um. »Du hast es gelöst.« Er klatscht sich auf die Stirn, und sein Mund verzieht sich zu einem breiten, fassungslosen Lächeln. »Du hast es schon gelöst! Schau ihn dir an! Da ist er auf dem Bildschirm!«
Schau ihn dir an? Ist das nicht – oh. Jetzt, da Penumbra sich weit zu mir vorbeugt, stelle ich fest, dass ich den weitverbreiteten Fehler begangen habe zu unterstellen, dass alle alten Menschen gleich aussehen. Das Gitternetzporträt auf meinem Monitor hat Penumbras Nase, aber der Mund verläuft in einem winzigen Bogen nach unten. Penumbras Mund ist gerade und breit, wie geschaffen zum Lächeln.
»Wie hast du das gemacht?«, fährt er fort. Er ist so stolz, als wäre ich sein Enkel und hätte gerade einen Homerun erzielt oder das Heilmittel gegen Krebs gefunden. »Zeig mir deine Notizen! Hast du Eulers Methode angewendet? Oder die Brito’sche Umkehrung? Es ist keine Schande, damit räumt man so viele Ungereimtheiten aus, die anfangs –«
»Mr. Penumbra«, sage ich triumphierend, »ich habe ein altes Logbuch gescannt«, – dann dämmert mir, dass das weitere Rückschlüsse zulässt, darum gestehe ich stammelnd: »Naja, ich habe ein altes Logbuch mitgenommen. Ausgeliehen. Vorübergehend.«
Kleine Fältchen bilden sich an Penumbras Augenrändern. »Aber das weiß ich doch, mein Junge«, sagt er, nicht unfreundlich. Er hält inne. »Deine Nachbildung hat ziemlich nach
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