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Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra (German Edition)

Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra (German Edition)

Titel: Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Sloan
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kombüsenhaften Küche, so weit wie in diesem Raum möglich von mir entfernt. Ich glaube, sie würde aus dem Fenster klettern, wenn sie es erreichen könnte.
    »Ms. Lapin«, sage ich, »ich muss Mr. Penumbra finden.«
    »Wie wäre es mit einer Tasse Tee?«, fragt sie. »Ja, etwas Tee, und dann machen Sie sich wieder auf den Weg.« Sie hantiert mit einem schweren Messingkessel herum. »Viel zu tun für einen jungen Menschen am späten Abend, kann ich mir vorstellen, viele Besuche zu machen, viele Verabredungen einzuhalten –«
    »Eigentlich sollte ich ja arbeiten.«
    Ihre Hände zittern über dem Herd. »Natürlich, nun, es gibt so viele Jobs, machen Sie sich keine Sorgen –«
    »Ich brauche keinen Job!« Etwas sanfter sage ich: »Ms. La pin, wirklich, ich muss nur irgendwie Mr. Penumbra erreichen.«
    Lapin zögert kaum merklich. »Es gibt doch so viele Berufe. Sie könnten Bäcker werden, Tierpräparator, Kapitän eines Fährschiffs …« Dann dreht sie sich zu mir um und schaut mich direkt an, ich glaube, es ist das erste Mal, seit wir uns kennen. Sie hat graugrüne Augen. »Mr. Penumbra ist fortgegangen.«
    »Und wann kommt er wieder?«
    Lapin sagt nichts, sieht mich nur an und wendet sich wieder dem Kessel zu, der auf ihrem kleinen Herd jetzt zu rüt teln und zu zischen angefangen hat. Neugier und Furcht sickern in meinen Kopf und verbinden sich zu einer explosiven Mischung. Die Zeit ist gekommen, alles auf eine Karte zu setzen.
    Ich ziehe meinen Laptop aus der Tasche, wahrscheinlich der technologisch fortgeschrittenste Gegenstand, der je die Schwelle von Lapins Höhle überquert hat, und setze ihn auf einem Stapel dicker Bücher ab, alles Ladenhüter. Das glänzende MacBook wirkt wie ein einsamer Alien, der versucht, sich unter die stummen treuen Angehörigen der menschlichen Zivilisation zu mischen. Ich klappe ihn auf – leuchtende Alien-Eingeweide kommen zum Vorschein – und rufe die Visualisierung auf, während Lapin mit zwei Tassen auf Untertassen den Raum durchquert.
    Als ihr Blick auf den Monitor fällt und sie die Buchhandlung in 3-D erkennt, lässt sie die Untertassen krachend auf dem Tisch landen. Sie ringt die Hände unterm Kinn, beugt sich vor und schaut sich an, wie das Gitternetzgesicht Gestalt annimmt.
    »Sie haben ihn gefunden!«, piepst sie.
    Lapin legt eine breite Rolle dünnen, fast schon durchsichtigen Papiers auf dem Tisch aus, die Bücher hat sie vorher weggeräumt. Jetzt bin ich derjenige, der staunt: Auf dem Papier ist eine Ansicht der Buchhandlung, eine graue Bleistiftzeichnung, und auch sie zeigt ein Netz aus Linien, die verschiedene Regalabschnitte miteinander verbinden. Aber die Karte ist unvollständig; ehrlich gesagt, es ist kaum ein Anfang gemacht. Man erkennt die Kurve eines Kinns und den Haken einer Nase, aber sonst nichts. Die dunklen, festen Striche sind von verschmierten Radiergummispuren umgeben – eine geisterhafte Chronik all der Linien, die viele Male gezeichnet und wieder entfernt wurden.
    Wie lange, frage ich mich, hat Lapin daran gearbeitet?
    Ihr Gesichtsausdruck sagt alles. Ihre Wangen zittern, als sei sie den Tränen nahe. »Darum«, sagt sie und schaut wieder auf meinen Laptop. »Darum ist Mr. Penumbra fortgegangen. Oje, was haben Sie nur getan? Wie haben Sie das geschafft?«
    »Mit Computern«, sage ich. »Großen.«
    Lapin seufzt und sinkt schließlich in ihren Stuhl. »Das ist schrecklich«, sagt sie. »Nach all der Arbeit.«
    »Ms. Lapin«, sage ich, »woran haben Sie gearbeitet? Worum geht es hier?«
    Lapin schließt die Augen und sagt: »Es ist mir nicht er laubt, darüber zu sprechen.« Sie schielt mit einem Auge zu mir herüber. Ich bleibe ruhig, schaue sie offen an und versuche, so harmlos wie möglich auszusehen. Sie seufzt noch einmal. »Aber Mr. Penumbra hat Sie gerngehabt. Er hat Sie unheimlich gerngehabt.«
    Die Verwendung der Vergangenheitsform schmeckt mir überhaupt nicht. Lapin streckt die Hand nach ihrem Tee aus, kommt aber nicht ganz heran, darum nehme ich die Tasse mitsamt Untertasse und reiche sie ihr.
    »Und es ist eine Erleichterung, darüber zu sprechen«, fährt sie fort, »nach den vielen Jahren des Lesens, Lesens, Lesens.« Sie hält inne und nimmt einen Schluck Tee. »Sie werden auch bestimmt mit niemandem darüber reden?«
    Ich schüttle den Kopf. Mit niemandem.
    »Nun gut«, sagt sie. Sie holt tief Luft. »Ich bin Novizin in einer Gemeinschaft, die sich der Ungebrochene Buchrücken nennt. Sie ist älter als fünfhundert

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