Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra (German Edition)
vertreiben, und bückt sich, um mit seinen rosa Knubbelfingern über die Typen zu streichen. Er hebt ein kleines e auf und hält es sich dicht vor die Augen. »Der meistverwendete Buchstabe im Alphabet«, sagt er und dreht ihn um, untersucht ihn. Er runzelt die Stirn. »Es ist unheimlich abgenutzt.«
In der Nähe rumpelt die U-Bahn durch Felsgestein, und der ganze Raum scheppert. Die Gerritszoon-Type klirrt und wackelt; es gibt eine kleine a -Lawine.
»Nicht mehr viel davon da«, bemerke ich.
»Sie verschleißen«, sagt Deckle und wirft das e wieder in sein Kästchen. »Buchstaben gehen kaputt, aber wir können keine neuen produzieren. Wir haben die Originale verloren. Eine der großen Tragödien der Gemeinschaft.« Er schaut zu mir hoch. »Manche Leute meinen, wenn wir die Schrifttype ändern, würden neue Codices Vitae ihre Gültigkeit verlieren. Sie finden, dass wir bis in alle Ewigkeit an der Gerritszoon festhalten müssen.«
»Es gibt Schlimmeres«, sage ich. »Wahrscheinlich ist es das Beste –«
Aus dem Lesesaal dringt ein Geräusch; eine helle Glocke klingelt metallisch und produziert ein lang anhaltendes Echo. Deckles Augen funkeln. »Das ist er. Wir müssen los.« Er schließt sanft den Deckel, greift sich hinten an den Hosenbund und zieht ein gefaltetes Viereck aus schwarzem Stoff hervor. Es ist eine zweite Robe.
»Zieh die an«, sagt er. »Keinen Laut. Halt dich bedeckt.«
DIE BINDUNG
A m Ende des Lesesaals, dort, wo das Holzpodium steht, hat sich ein Gedränge aus Schwarzroben gebildet – es sind Dutzende. Ist die Gemeinschaft jetzt vollzählig? Sie reden und flüstern, rücken Stühle und Tische zur Seite. Sie bereiten den Saal für eine Veranstaltung vor.
»Leute, Leute!«, ruft Deckle. Die Menge der Schwarz roben teilt sich und lässt ihn durch. »Wer hat hier Dreck an den Schuhen? Ich kann die Abdrücke sehen. Erst gestern habe ich alles gewischt.«
Es stimmt: Der Fußboden blitzt, als sei er aus Glas, und spiegelt die Farben in den Regalen wider, reflektiert sie in blassem Pastell. Es ist ein wunderschöner Anblick. Die Glocke läutet ein zweites Mal; sie hallt durch die Höhle und schwillt an zu einem grellen Chor aus ihrem eigenen Echo. Schwarzroben gruppieren sich vor dem Podium, sodass nun alle auf eine einzige Gestalt schauen, die natürlich Corvina ist. Ich stelle mich direkt hinter einen großen blonden Gelehrten. Meinen Laptop und den zerdrückten Kadaver des GrumbleGear habe ich wieder in meine Tasche gestopft, die unter meiner nagelneuen schwarzen Robe verborgen über meiner Schulter hängt. Ich ziehe den Kopf ein, so gut ich kann. Ich finde wirklich, diese Roben sollten Kapuzen haben.
Auf dem Podium vor dem Ersten Leser liegt ein Stapel Bücher, auf den er mit kräftigen Fingern klopft. Es sind die Bücher, die Deckle vor wenigen Minuten aus der Druckerei geholt hat.
»Brüder und Schwestern des Ungebrochenen Buchrückens«, ruft Corvina. »Guten Morgen. Festina lente .«
»Festina lente«, antworten einmütig murmelnd die Schwarzroben.
»Ich habe euch heute hier versammelt, um zweierlei zu besprechen«, sagt Corvina. »Lasst uns hiermit beginnen.« Er nimmt eins der blau eingebundenen Bücher und hält es hoch, damit alle es sehen können. »Nach vielen Jahren Arbeit hat euer Bruder Zaid seinen Codex Vitae vorgelegt.«
Corvina nickt, und eine der Schwarzroben tritt vor und wendet sich der Menge zu. Der Mann ist in den Fünfzigern und wirkt stämmig unter seiner Robe. Er hat das Gesicht eines Boxers, mit eingedrückter Nase und zerklüfteten Wangen. Es muss Zaid sein. Er steht aufrecht und hält die Hände hinter dem Rücken gefaltet. Sein Gesicht ist angespannt; er bemüht sich nach Kräften um Haltung.
»Deckle hat Zaids Arbeit für gültig erklärt, und ich habe sein Buch gelesen«, sagt Corvina. »Ich habe es so sorgfältig wie irgend möglich gelesen.« Er ist wirklich ein charismatischer Knabe – sein Tonfall ist leise, aber voller unwiderstehlichem Selbstvertrauen. Es folgt eine Pause, und im Lesesaal herrscht Stille. Alles wartet auf das Urteil des Ersten Lesers.
Schließlich sagt Corvina schlicht: »Es ist meisterhaft.«
Die Schwarzroben jubeln und eilen nach vorn, um Zaid zu umarmen und ihm beide Hände gleichzeitig zu schütteln. Drei Gelehrte neben mir stimmen schmetternd ein Lied an, was von der Melodie her ein bisschen nach »For he’s a jolly good fellow« klingt, aber genau kann ich es nicht sagen, weil der Text lateinisch ist. Um nicht
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