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Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra (German Edition)

Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra (German Edition)

Titel: Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Sloan
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versuche, die Buch rücken seitlich zu lesen. Ein Blick bestätigt mir, dass sie nicht alphabetisch angeordnet sind. Nein, natürlich nicht. Wahrscheinlich sind sie nach einer supergeheimen, sekteninternen Rangordnung sortiert oder nach einer Lieblingsprimzahl oder der Hosenbeinlänge oder sonst was. Also gehe ich einfach Regal für Regal ab, immer tiefer in die Dunkelheit hinein.
    Es ist unglaublich, wie unterschiedlich die Bücher sind. Manche sind dick, manche dünn, manche groß wie Atlanten, manche kompakt wie Taschenbücher. Ich frage mich, ob auch das einer Logik folgt; bezeichnet jedes Buchformat irgendeinen Status-Code? Manche sind in Leinen gebunden, andere in Leder und viele in Materialien, die mir unbekannt sind. Eins leuchtet hell im Schein meiner Stirnlampe; es ist in dünnes Aluminium gekleidet.
    Nach dreizehn Regalen ist immer noch kein P ENVMBRA in Sicht, und ich befürchte, das Buch vielleicht übersehen zu haben. Die Stirnlampe wirft nur einen schmalen Lichtkegel, und ich kann nicht jeden Buchrücken erkennen, vor allem nicht diejenigen, die ganz unten stehen –
    Im Regal ist eine Lücke. Nein: Bei näherem Hinschauen wird deutlich, dass es keine Lücke ist, sondern etwas Schwarzes – die geschwärzte Hülle eines Buchs, dessen Titel auf dem Rücken gerade noch schwach zu erkennen ist:
    M OFFAT
    Das kann nicht sein … Clark Moffat, Verfasser der Drachenlied-Chroniken? Nie und nimmer.
    Ich ziehe das Buch heraus, und dabei fällt es auseinander. Der Einband hält, aber ein Bündel geschwärzter Seiten löst sich aus der Bindung und geht zu Boden. »Scheiße!«, zische ich und schiebe, was vom Buch übrig ist, wieder ins Regal. Das ist es wahrscheinlich, was sie mit »Verbrennen« meinen. Das Buch ist zerstört, nur noch ein schwarzer Platzhalter. Vielleicht dient es als Abschreckung.
    Auch meine Hände sind jetzt geschwärzt und glänzen vor Ruß. Ich klatsche sie zusammen und kleine Fetzen M OFFAT flattern zu Boden. Vielleicht handelt es sich um einen Vorfahr oder einen Cousin zweiten Grades. Es gibt mehr als nur einen Moffat auf der Welt.
    Ich bücke mich, um die verkohlten Reste aufzuheben, als meine Stirnlampe ein Buch ins Visier nimmt, ein großes und dünnes, über dessen gesamte Rückenbreite sich goldene Lettern ziehen:
    P ENVMBRA
    Das ist es. Ich kann mich fast nicht überwinden, es anzufassen. Es steht direkt vor mir – ich hab’s gefunden –, aber plötzlich habe ich das Gefühl, es ist zu privat, als hätte ich vor, Penumbras Steuererklärung anzusehen oder die Schublade mit seinen Unterhosen zu durchwühlen. Was steht darin? Welche Geschichte erzählt es?
    Ich klemme einen Finger in die obere Bindung und fische es langsam aus dem Regal. Dieses Buch ist wunderschön. Es ist höher und dünner als seine Nachbarn und hat supersteife Buchdeckel. Die Maße erinnern mich eher an ein übergroßes Kinderbuch als ein okkultes Tagebuch. Der Einband ist blass blau, von genau derselben Farbe wie Penumbras Augen, und hat sogar etwas von ihrer Leuchtkraft: Die Farbe changiert und glimmt im grellen Strahl der Stirnlampe. Das Buch fühlt sich weich an in meiner Hand.
    Die Überreste von M OFFAT sind ein dunkler Fleck zu meinen Füßen, und ich werde nicht zulassen, dass mit diesem Buch dasselbe geschieht. Ich werde P ENVMBRA einscannen.
    Ich trage den Codex Vitae meines früheren Chefs zum GrumbleGear hinüber und – warum bin ich eigentlich so nervös? – schlage die erste Seite auf. Es ist natürlich derselbe Buchstabensalat wie bei allen anderen. Penumbras Codex Vitae ist nicht leichter zu entziffern als der Rest.
    Weil er so schmal ist – ein bloßer Bruchteil des M ANVTIVS  –, dürfte es nicht lange dauern, aber mir fällt auf, dass ich dies mal langsamer bin beim Umblättern, dass ich versuche, etwas, irgendetwas, den Seiten zu entnehmen. Ich entspanne die Augen, fokussiere nicht, lasse die Buchstaben zu einem gesprenkelten Schattenbild verlaufen. Ich wünsche mir so sehr, etwas in diesem Durcheinander zu erkennen – offen gestanden wünsche ich mir, dass etwas Magisches passiert. Aber nein: Wenn ich das Opus meines schrulligen alten Freundes wirklich lesen will, muss ich mich seiner Sekte anschließen. Die Geschichten in der Geheimbibliothek des Ungebrochenen Buchrückens sind nicht umsonst zu haben.
    Es dauert länger, als es sollte, aber endlich bin ich fertig und die Seiten des P ENVMBRA sind sicher auf der Festplatte verstaut. Mehr als beim M ANVTIVS habe ich das

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