Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra (German Edition)
aufzufallen, klatsche ich den Takt dazu. Corvina hebt die Hand, um die Menge zur Ruhe zu mahnen. Die Leute weichen zurück, und es wird wieder leise. Zaid steht immer noch vorn und hält sich jetzt eine Hand vor die Augen. Er weint.
»Von heute an ist Zaid gebunden«, sagt Corvina. »Sein Codex Vitae wurde chiffriert. Jetzt kommt er ins Regal, und der Schlüssel wird bis zu seinem Tod geheim gehalten. So, wie Manutius Gerritszoon, hat auch Zaid einen Bruder gewählt, dem er seinen Schlüssel anvertraut.« Corvina hält inne. »Es ist Eric.«
Wieder vereinzelte Jubelrufe. Ich kenne Eric. Da sitzt er in der ersten Reihe, ein blasses Gesicht unter einem schwarzen Zottelbart: Corvinas Kurier, der in San Francisco in den Laden kam. Schwarzroben klopfen auch ihm auf die Schulter, und ich sehe, wie er lächelt und frisches Rot seine Wangen färbt. Vielleicht ist er ja gar kein schlechter Kerl. Es ist eine ziemliche Verantwortung, Zaids Schlüssel zu hüten. Ob er sich den Code irgendwo notieren darf?
»Eric wird außerdem einer der Kuriere von Zaid sein, gemeinsam mit Darius«, sagt Corvina. »Brüder, tretet vor.«
Eric bewegt sich mit drei sicheren Schritten nach vorn. Eine andere Schwarzrobe tut es ihm gleich, ein Junge mit goldener Haut, die der von Kat ähnelt, und einer dichten Krone brauner Locken. Beide knöpfen ihre Roben auf. Eric trägt darunter ein frisch gebügeltes weißes Hemd und schiefergraue Hosen, Darius Pulli und Jeans.
Auch Edgar Deckle tritt aus der Menge hervor; er hält zwei breite Bögen dickes braunes Papier in der Hand. Nacheinander nimmt er zwei Bücher vom Podium und packt sie ordentlich ein, dann händigt er jedem Kurier eins aus: erst Eric, dann Darius.
»Drei Exemplare«, sagt Corvina. »Eins für die Bibliothek« – wieder hält er das Buch im blauen Einband hoch – »und zwei zur sicheren Aufbewahrung. Buenos Aires und Rom. Brüder, wir vertrauen euch Zaid an. Nehmt diesen Codex Vitae und ruhet nicht, bis ihr dafür gesorgt habt, dass er sicher im Regal steht.«
Jetzt verstehe ich auch besser, was es mit Erics Besuch auf sich hatte. Er kam von hier. Er hatte einen neuen Codex Vitae bei sich, den er zur Aufbewahrung abliefern sollte. Natürlich nicht, ohne sich dabei total arschig aufzuführen.
»Zaid trägt zu unserer Last bei«, sagt Corvina ernst, »ganz so wie alle Gebundenen es vor ihm taten. Mit jedem Jahr, mit jedem Buch, wiegt unsere Verantwortung schwerer.« Er lässt den Blick über alle anwesenden Schwarzroben schweifen. Ich halte die Luft an, ziehe die Schultern ein und versuche, mich hinter dem großen blonden Gelehrten unsichtbar zu machen. »Wir dürfen nicht schwanken. Wir müssen das Geheimnis des Gründers entschlüsseln, damit Zaid und alle, die vor ihm kamen, weiterleben können.«
Tiefes Raunen geht durch die Menge. Der vorn stehende Zaid hat aufgehört zu weinen und sich wieder gefangen; sein Gesicht wirkt jetzt stolz und feierlich.
Corvina hält einen Moment inne. Dann sagt er: »Es gibt noch etwas, worüber wir reden müssen.« Er macht einen kleinen Wink mit der Hand, und Zaid gesellt sich wieder zu den anderen. Eric und Darius machen sich auf den Weg zur Treppe. Ich erwäge kurz, ihnen zu folgen, besinne mich aber schnell eines Besseren. Im Moment besteht meine einzige Hoffnung darin, komplett in der Menge unterzutauchen – mich in diesen Schatten, nicht von Normalität, sondern unendlicher Fremdheit, zu ducken.
»Ich habe kürzlich mit Penumbra gesprochen«, sagt Corvina. »Er hat Freunde in dieser Gemeinschaft. Ich zähle mich zu ihnen. Daher fühle ich mich verpflichtet, euch von unserer Unterhaltung zu berichten.«
Allseitiges Flüstern.
»Penumbra hat sich eines großen Vergehens schuldig gemacht – einer der denkbar größten Übertretungen. Seiner Nachlässigkeit ist es geschuldet, dass eines unserer Logbücher gestohlen wurde.«
Gemurmel und Stöhnen.
»Ein Logbuch mit Einzelheiten über den Ungebrochenen Buchrücken, über dessen langjährige Arbeit in San Francisco, unverschlüsselt und für jeden offen einzusehen.«
Unter meiner Robe läuft mir der Schweiß über den Rücken, meine Augen jucken. Die Festplatte in der Pokerschachtel liegt wie ein Klumpen Blei in meiner Hosentasche. Ich versuche, so unschuldig und unbeteiligt wie möglich auszusehen. Das äußert sich vor allem darin, dass ich auf meine Füße starre.
»Es war ein gravierender Fehler und nicht der erste, den Penumbra begangen hat.«
Mehr Stöhnen vonseiten der
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