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Die Sonnenposition (German Edition)

Die Sonnenposition (German Edition)

Titel: Die Sonnenposition (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Poschmann
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seiner Pranke wirkte sie verloren. Mäuse kommen nackt und blind zur Welt. Dieser hier war bereits ein Hauch von Fell gewachsen, nachteilig, so erklärte Odilo, für die Vorführung, denn die Maus leuchte zwar, ihr Haarkleid jedoch nicht. So daß die Behaarung das Leuchten des Leibes leider verdecke. Bei einem Jungtier, dessen Behaarung noch weniger ausgeprägt sei, könne man wohl noch einen Schimmer erhaschen, deshalb habe er ein Exemplar des jüngsten Wurfes ausgewählt, konzentrieren aber müsse man sich bei dieser Begutachtung auf die unbehaarten Partien der Maus, welche wären: die Füße, die Ohren, der Schwanz.
    Ich lehnte an einem weißen Laborschrank. Als ich bemerkte, daß ich lehnte, rückte ich erschrocken ein Stück ab.
    Der Raum war weiß eingerichtet und ohne Tageslicht. An der Decke brannten Leuchtstoffröhren, über weißen Tischendrückten Hängeschränke, hinter Schiebefenstern reihten sich Glasflaschen mit unterschiedlichen Flüssigkeiten. Ich wollte vermeiden, den Schrank durch mein Körpergewicht in Schwingung zu versetzen, ich wollte nichts Gläsernes zum Vibrieren bringen, ich hielt mich ordentlich aufrecht und beugte mich interessiert vor.
    Über dem Labortisch schaltete Odilo das ultraviolette Licht an, er verlangte, daß ich mich auf die Stelle, an der sich die Maus befand, konzentrieren solle, da ich diese Stelle im Dunkeln nur mit Mühe wiederfinden würde.
    Die Maus bewegte sich suchend in seiner Hand, sie suchte mit zuckender Schnauze nach ihrem Nest, ihrer Mutter, ihren Geschwistern, vielleicht suchte sie die Futterquelle, vielleicht war es auch nur ihre natürliche Bewegungsart, ihre Art, sich der Welt zu nähern, Ausdruck ihrer Lebendigkeit.
    Ganz ruhig, Kleiner, sagte Odilo, er sagte es in einem zärtlichen Ton, den ich noch nie zuvor von ihm gehört hatte, und während ich noch spürte, wie seine tiefe, rauhe, beschwörende Stimme in meinen Körper drang, während ich mich beim Klang dieser Stimme am liebsten wieder angelehnt, mich in ihre dunklen Wellen gelegt hätte, durchschoß mich der Gedanke, daß diese Maus, die Vorführmaus, vermutlich Grund zur Unruhe hatte.
    Odilo hatte sie in der Mäusezucht separiert. In einem kleinen Transportkäfig war sie in diese Kammer gebracht worden. Sie hatte sich in die Sägespäne gewühlt, es gelang ihr nicht, sich zu verstecken.
    Die Mäusezucht durfte ich nicht betreten. Dies liege nicht daran, daß der Forschungsgegenstand so geheim sei, betonte Odilo. Man werde von mir nicht annehmen, ich sei ein Wissenschaftsspion. Daß der bloße Anblick einer Maus, selbst wenn sie glühbirnengleich den Raum erhellte, mich noch nicht in die Geheimnisse der Gentechnik einführte, sei auch dem Institutklar. Der Besucher, erfuhr ich, bringt Keime in die Mäusezucht ein, an denen der gesamte Bestand zugrunde gehen kann. Die empfindlichen Labortiere, die mit der Außenwelt nicht in Berührung kommen, befinden sich in einem dauernden Quarantänezustand. Sie müssen vor unwillkürlich eingeschleppten Keimen, die sich unter den Schuhsohlen befinden können, die sich beim Niesen verbreiten, beim Atmen, sie müssen vor dem Besucher geschützt werden.
    Die eine Maus jedoch, die Odilo mir zeigte – würde sie nicht, wenn sie zu ihrer Mäusefamilie zurückkehrte, die von mir eingeschleppten Keime ebenfalls übertragen können? War diese Maus also, da ich sie betrachten durfte, damit schon für immer aus der Tierzucht entfernt?
    Odilo schaltete die Neonröhre aus. Der Raum schlug finster über uns zusammen, voll verborgenem Schrecken, ohne Grenzen, ohne Mitte, ohne jeden festen Ort. Ich irrte für ein paar Sekunden in dieser Unermeßlichkeit umher, ich irrte in Gedanken, hatte Angst, mich zu bewegen und an den Laborschrank zu stoßen. Ich hörte Odilos Atem, er versuchte, die zappelnde Maus günstig ins UV-Licht zu halten, und dann sah ich es: Sie leuchtete. Sie leuchtete wirklich. Nicht spektakulär, nicht so, daß ihr Leuchten den Raum bedeutend erhellt hätte. Das Leuchten, dicht an der Hautoberfläche, umspielte ihren Körper wie eine Aura, ein feinstes Schimmern, als sei es die Lebenskraft der Maus, die ein wenig über ihre Körpergrenzen hinausreichte, als sei das, was man so alltäglich Ausstrahlung nennt, plötzlich sichtbar gemacht. Kein außerordentliches Charisma, was auch zuviel verlangt wäre von einer jungen Maus, aber doch ein Nimbus, wie man ihn bei einem Heiligen erwarten würde, wie ihn vielleicht die Emmaus-Jünger endlich an Jesus wahrnahmen,

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