Die Sonnenposition (German Edition)
zurückfedernden Schicht, die das Fleisch schützend umschließt. Ich sehe mich in diesem weißen Kokon, von einem wasserabweisendenOrange überzogen, das fremde Einflüsse abhält. Panzerbeere: Die Apfelsine gehört, was man normalerweise nicht weiß, zu den Beerenfrüchten, und wenn eine Beerenfrucht hartschalig ist wie ein Kürbis oder eine Gurke, heißt sie Panzerbeere. Ich sehe mich als Pomeranze, die eine Panzerbeere ist.
Die Patienten beginnen schon abzuräumen. Ein entsetzliches Quietschen hebt an, da sie sich korrekt an die Anweisungen halten und die Schalenabfälle entsorgen. Rostfreier Edelstahl schabt über Porzellan, übergründlich, um auch jede noch so kleine Faser zu erwischen. Frau Dr. Z. verzieht schmerzlich das Gesicht.
Der Ärztetisch unterscheidet sich vom Patiententisch dadurch, daß die Ärzteschaft zu jeder Mahlzeit Zellstoffservietten erhält, die Patienten nicht. Die Patienten müssen so zurechtkommen. Ich habe Frau Dr. Z. noch nicht zu fragen gewagt, ob hier bewußt ein Statusunterschied betont werden soll, oder ob man einfach davor zurückscheut, den Patienten eine Beschäftigungsmöglichkeit an die Hand zu geben, die an Komplexität einem Stück Obst in nichts nachsteht, nur Unruhe und Abfall verursacht und Energie von der Ergotherapie abzieht. Man könnte von den Servietten die einzelnen Lagen abheben, Papierkügelchen aus ihnen formen, Wasser oder Sud mit ihnen aufsaugen und den Verlauf der Flüssigkeit verfolgen, um nur das Naheliegendste zu nennen. Wie die Kinder, das ist das Fazit, das Frau Dr. Z. bei jeder Gelegenheit gebetsmühlenhaft wiederholt. Sie legt ihr Besteck zusammen, sie tupft sich den Mund ab, schielt kontrollierend zum Patiententisch hinüber, wo kaum noch jemand sitzt. Ich weiß nicht, ob sie sich davor fürchtet, daß ihr die Kontrolle jemals entgleiten könnte. Sie ist der Meinung, daß ihr diese Kontrolle zum Teil bereits durch eine betont aufrechte Haltung, eine gewisse Wortkargheit, gut gebügelte Blusen gelingt. Sie legt das Zellstofftuch behutsamneben ihrem Teller ab, einen Moment zögert sie. Ich erkundige mich nach den Servietten. Frau Dr. Z. ist nicht irritiert, sie hebt nicht die Brauen, sie bleibt völlig ruhig, wie ein Daunenkissen.
Eine Kostenfrage, bescheidet sie mich. Eine Kostenfrage, wiederhole ich brav.
Ich lege die Hände ineinander. Wir falteten vor jeder Familienfeier komplizierten Tafelschmuck, erzähle ich Frau Dr. Z. Wir falteten Fächer und Schwäne, grobgeriffelte Seerosenblätter, Gebilde, die, am Fuß mit dem Gewicht der Kuchengabel beschwert, mühelos aufrecht standen.
Frau Dr. Z. macht eine winzige Bewegung, als wolle sie sich von ihrem Stuhl erheben, aber ich wende mich ihr nun mit einer Drehung des Oberkörpers vollständig zu.
Körper, sage ich zu Frau Dr. Z., Skulpturen, Räumlichkeit, während es sich zuvor nur um eine Fläche handelte, weich zwar und bedruckt, aber doch allenfalls ein Bild. Wir hingegen falteten Lotusblüten, sage ich, Kronen, Tischskulpturen, die zierlich-pompös wie Gnome oder Elfen auf den Tellern hockten.
Ich habe Frau Dr. Z. noch niemals etwas Persönliches erzählt. Ich habe dergleichen sogar bewußt vermieden, mir schien das besser so. Nun aber, da sie gerade aufstehen will, überkommt mich ein Rededrang, ich möchte ihr etwas erzählen, das ich noch niemals jemandem erzählt habe, möchte mich mit einer längeren Ausführung an sie, dezidiert an sie wenden, ihr etwas anvertrauen, auch wenn ich gar nicht weiß, was, es ist eine Art von Beichtzwang.
Früher, setze ich an, doch Frau Dr. Z. erhebt sich und läßt ihr Geschirr zurück und nickt mir zu, als erteile sie mir Absolution, noch bevor ich überhaupt dazu komme, etwas zu sagen.
Das hindert mich keineswegs, ihr trotzdem zu beichten, innen und still.
Kunst der Serviette: Ich bemühte mich verbissen um Akkuratesse, um exakte Knicke, ich strich mit den Daumennägeln über den Falz, gerade so fest, daß das Papier nicht riß. Mich störte das Nachgiebige der Servietten, die mangelnde Statik, die schlaffen Ziehharmonikafalten, ich arbeitete an gegen die Widerstandslosigkeit des duftigen Materials, während meine Schwester mit ihm eine geheimnisvolle Einheit zu bilden schien. Schlimmer waren nur die Stoffservietten zu hohen kirchlichen Feiertagen, die sich im Grunde nur rollen oder in Wellen versetzen ließen, am schlimmsten aber die feinen, fast durchsichtigen Servietten aus hauchdünnem Japanpapier, die meine Mutter zur Erstkommunion meiner
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