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Die souveraene Leserin

Die souveraene Leserin

Titel: Die souveraene Leserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Bennett
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sehr Höfling, um ungefragt ein Thema anzuschneiden, also wartete auch er.
    »Aus welchem Grund wollten Sie mich sprechen?«
    Während Sir Claude sich zu erinnern versuchte, hatte die Queen Gelegenheit, die dünne Schuppenschicht, die sich auf seinem Jackenkragen gesammelt hatte, die Eigelbflecken auf seiner Krawatte und die schorfigen Ablagerungen in seinen großen, länglichen Ohrmuscheln zu bemerken. Früher hätte sie über solche menschlichen Schwächen hinweggesehen, doch jetzt drängten sie sich in ihr Blickfeld, beeinträchtigten ihre makellose Haltung und waren ihr sogar unangenehm. Der arme Mann. Und dabei hatte er bei Tobruk gekämpft. Das musste sie sich aufschreiben.
    »Lesen, Ma’am.«
    »Verzeihung?«
    »Eure Majestät haben angefangen zu lesen.«
    »Nein, Sir Claude. Man hat immer gelesen. Man liest nur dieser Tage ein wenig mehr.«
    Nun wusste sie natürlich, warum er gekommen war und wer ihn dazu gebracht hatte, und so war er nicht länger nur Gegenstand ihres Mitgefühls, sondern wurde einer ihrer Verfolger; das Mitleid schwand also, sie fand ihre Fassung wieder.
    »Ich finde, Lesen allein kann nicht schaden, Ma’am.«
    »Das hört man ja mit Erleichterung.«
    »Nur, wenn es ins Extreme getrieben wird. Da liegt das Problem.«
    »Wollen Sie mir raten, die Lektüre zu rationieren?«
    »Eure Majestät haben immer ein so vorbildliches Leben geführt. Dass Ma am gerade aufs Lesen verfallen sind, ist beinahe glücklich zu nennen. Wenn Eure Majestät eine andere Beschäftigung mit solchem Eifer betrieben, wäre sicher manche Augenbraue tadelnd in die Höhe gegangen.«
    »Womöglich. Allerdings hat man sein Leben lang versucht, genau das zu vermeiden. Manchmal habe ich das Gefühl, das war keine besondere Leistung.«
    »Ma’am mochten doch immer gern Pferderennen.«
    »Richtig. Im Augenblick allerdings finde ich daran wenig Gefallen.«
    »Ach«, sagte Sir Claude. »Das ist ja schade.« Dann entdeckte er eine mögliche Verbindung zwischen Lesen und Rennen. »Ihre Majestät die Königinmutter war immer ganz begeistert von Dick Francis.«
    »In der Tat«, sagte die Queen. »Ich habe eins oder zwei seiner Bücher gelesen, aber sie bringen einen nicht besonders weit. Swift, habe ich entdeckt, schreibt sehr gut über Pferde.«
    Sir Claude nickte bedächtig, da er Swift nicht gelesen hatte und hier offenbar nicht weiterkam.
    Nur einen Augenblick saßen sie sich schweigend gegenüber, doch das reichte für Sir Claude, um einzuschlafen. Das war der Queen noch nicht oft passiert, und wenn doch (als ein Minister beispielsweise bei irgendeiner Zeremonie neben ihr einnickte), da hatte sie barsch und verständnislos reagiert. Sie war schließlich auch oft versucht einzuschlafen, wer wäre das in ihrer Stellung nicht; doch jetzt lauschte sie, anstatt den alten Mann zu wecken, nur seinem mühsamen Schnaufen und fragte sich, wie lange es wohl noch dauern würde, bis die Altersschwäche auch sie so übermannte. Sir Claude war mit einer Botschaft zu ihr gekommen, die sie verstanden hatte und über die sie verärgert war, aber vielleicht war er auch selbst eine Botschaft, Vorzeichen einer unerfreulichen Zukunft.
    Sie nahm ihr Notizbuch vom Schreibtisch und ließ es auf den Boden fallen. Sir Claude erwachte nickend und lächelnd, als nähme er eine Äußerung der Queen zur Kenntnis.
    »Wie geht es mit Ihren Memoiren voran?«, fragte sie. Sir Claudes Erinnerungen waren nun schon so lange in Arbeit, dass im Haushalt darüber gescherzt wurde. »Wie weit sind sie gediehen?«
    »Ach, das geht nicht so Schritt für Schritt voran, Ma’am. Man arbeitet jeden Tag hier und da ein bisschen daran.«
    Das tat er natürlich nicht, und eigentlich wollte er mit dem, was er nun sagte, nur weiteren forschenden königlichen Fragen zuvorkommen. »Haben Eure Majestät je ans Schreiben gedacht?«
    »Nein«, antwortete die Queen, doch das war gelogen. »Wo sollte man dafür die Zeit finden?«
    »Ma’am haben ja auch die Zeit zum Lesen gefunden.«
    Das war ein Tadel, und Tadel mochte die Queen gar nicht, aber im Augenblick sah sie darüber hinweg.
    »Was sollte man denn wohl schreiben?«
    »Eure Majestät haben ein interessantes Leben geführt.«
    »Ja«, sagte die Queen. »Das hat man.«
    In Wahrheit hatte Sir Claude überhaupt keine Vorstellung, worüber oder ob die Queen überhaupt schreiben sollte, er hatte den Vorschlag nur gemacht, um sie vom Lesen abzubringen und weil es nach seiner Erfahrung zum Schreiben selten wirklich kam. Es war eine

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