Die souveraene Leserin
in eine thematische Nebenstraße und berichtete von dort neu verlegten Kanalrohren und landesweiter Versorgung mit Stromumspannwerken.
Wieder unterbrach sie ihn. »Man sollte doch hoffen, dass das den archäologischen Fundstätten nicht zum Schaden gereichen wird. Kennen Sie Ur?«
Kannte er nicht. Beim Gehen reichte sie ihm also einige hilfreiche Bücher. In der folgenden Woche fragte sie ihn, ob er sie gelesen habe (hatte er nicht).
»Sie waren hochinteressant, Ma’am.«
»Na, dann muss ich Ihnen noch mehr davon besorgen. Ich finde das Thema faszinierend.«
Diesmal kam das Gespräch auf den Iran, also fragte sie ihn, ob er die Geschichte Persiens beziehungsweise des Irans kenne (er hatte die beiden bisher kaum in Verbindung gebracht), und gab ihm auch darüber gleich noch ein Buch mit. Sie entwickelte im Allgemeinen ein solch lebhaftes Interesse, dass er nach zwei oder drei solchen Sitzungen den Dienstagabenden, die er bisher immer als Oase der Ruhe in seiner hektischen Woche betrachtet hatte, mit wachsender Anspannung entgegensah. Sie befragte ihn sogar zu den ausgeliehenen Büchern, als handele es sich um Hausaufgaben. Als sie merkte, dass er sie nicht gelesen hatte, lächelte sie nachsichtig.
»Meine Erfahrung mit Premierministern ist, Herr Premierminister, dass sie mit Ausnahme Mr. Macmillans andere für sich lesen lassen.«
»Man ist doch sehr beschäftigt, Ma’am«, sagte der Premierminister.
»Man ist beschäftigt«, stimmte sie zu und griff nach ihrem Buch. »Wir erwarten Sie dann nächste Woche wieder.«
Schließlich bekam Sir Kevin einen Anruf vom Berater des Premierministers.
»Ihre Chefin macht meinem Chef das Leben schwer.«
»Ach ja?«
»Ach ja. Sie gibt ihm Bücher zu lesen. Das geht gar nicht.«
»Ihre Majestät liest gern.«
»Ich lasse mir gern den Schwanz lutschen. Aber darum bitte ich nicht den Premierminister. Irgendwelche Vorschläge, Kevin? «
»Ich werde mit Ihrer Majestät sprechen.«
»Das machen Sie mal, Kev. Und sagen Sie ihr, sie soll das schön bleiben lassen.«
Sir Kevin sprach nicht mit Ihrer Majestät und sagte ihr erst recht nicht, sie solle es schön bleiben lassen. Stattdessen sprang er über seinen Schatten und besuchte Sir Claude.
Im kleinen Garten seines reizenden Hofdiensthäuschens aus dem siebzehnten Jahrhundert in Hampton Court saß Sir Claude Pollington und las. Vielmehr sollte er eigentlich lesen, aber stattdessen döste er über einer Kiste vertraulicher Dokumente, die ihm aus der Bibliothek von Windsor gesandt worden waren, ein Privileg, das ihm als altehrwürdigem Diener der Krone zustand, der inzwischen die neunzig überschritten hatte, aber angeblich immer noch an seinen Memoiren schrieb, die den Arbeitstitel Mühsal der Monarchie trugen.
Sir Claude war direkt nach dem Besuch der Privatschule von Harrow in den königlichen Dienst getreten, als achtzehnjähriger Page Georges V, und eine seiner ersten Aufgaben war es gewesen, wie er sich gern erinnerte, die Klebefalze anzulecken, mit denen dieser reizbare und pedantische Monarch seine Briefmarken in zahlreichen Alben zu befestigen pflegte. »Sollte es irgendein Problem geben, mein Erbgut zu bestimmen«, hatte er Sue Lawley einst in der Radiosendung Welche Platten nehmen Sie mit auf eine einsame Insel? anvertraut, »dann bräuchte man bloß hinter den Briefmarken in Dutzenden königlicher Alben zu sammeln, vor allem, wie ich mich entsinne, hinter den Marken von Tanna-Tuva, die Seine Majestät zwar vulgär oder gar gewöhnlich fand, die zu sammeln er sich aber dennoch verpflichtet fühlte. Was ganz typisch war für Seine Majestät… gewissenhaft bis zum Exzess.« Dann hatte er sich eine Aufnahme von Master Ernest Lough mit dem Lied O for the Wings of a Dove (›O könnt ich fliegen wie die Tauben dahin‹) gewünscht.
In seinem kleinen Salon drängten sich auf jeder freien Wandfläche gerahmte Photographien der verschiedenen königlichen Häupter, denen Sir Claude so treu gedient hatte. Da war er in Ascot, wie er dem König das Fernglas hielt; hier hockte er im Heidekraut, während Seine Majestät einen fernen Hirsch ins Fadenkreuz nahm. Dort trat er hinter Queen Mary aus einem Antiquitätengeschäft in Harrogate, wobei das Gesicht des jungen Pollington von einer eingepackten Wedgwood-Vase verdeckt wurde, die der hilflose Händler Ihrer Majestät widerwillig überlassen hatte. Und auch da war er zu sehen, diesmal im gestreiften Pullover als Teil der Besatzung der Yacht Nahlin auf jener
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