Die souveraene Leserin
schicksalhaften Mittelmeerkreuzfahrt, und die Dame mit der Seglermütze war eine gewisse Mrs. Simpson – dieses Photo kam und ging, jedenfalls war es nie zu sehen, wenn Königinmutter Elizabeth wieder einmal zum Tee hereinschaute.
Es gab nicht viele Ereignisse im Leben der königlichen Familie, derer Sir Claude nicht Zeuge geworden war. Nach seinen Diensten für George V. war er kurze Zeit im Haushalt Edwards VIII. beschäftigt gewesen, um dann nahtlos in den Dienst dessen Bruders George VI. überzutreten. Er hatte im königlichen Haushalt zahlreiche Ämter bekleidet und zuletzt als Privatsekretär der Queen gedient. Noch lange nach seiner Versetzung in den Ruhestand wurde er häufig um Rat gefragt; er verkörperte exemplarisch die höchste Vertrauensempfehlung der besseren Kreise, die sprichwörtlichen ›sicheren Hände‹.
Inzwischen jedoch zitterten diese Hände merklich, und auch in Sachen Körperhygiene war er weniger sorgsam als früher, sodass Sir Kevin selbst im duftenden Garten in seiner Nähe den Atem anhalten musste.
»Sollen wir hineingehen?«, fragte Sir Claude. »Dort könnte Tee serviert werden.«
»Nein, nein«, sagte Sir Kevin hastig. »Hier draußen ist es besser.«
Er legte das Problem dar.
»Lesen?«, fragte Sir Claude nach. »Das kann doch niemandem schaden, oder? Da schlägt Ihre Majestät nach ihrer Namensvetterin, der ersten Elizabeth. Die war auch eine eifrige Leserin. Damals gab es natürlich weniger Bücher. Und auch die Königinmutter Elizabeth las gern einmal ein Buch. Queen Mary allerdings weniger. George V. genauso wenig. Der war ein großer Briefmarkensammler. So habe ich damals angefangen, müssen Sie wissen. Ich habe seine Klebefalzen angeleckt.«
Jemand noch älteres als Sir Claude selbst brachte Tee nach draußen, und Sir Kevin goss vorsichtig ein.
»Ihre Majestät empfindet große Zuneigung für Sie, Sir Claude.«
»So wie ich für sie«, entgegnete der alte Mann. »Ihre Majestät bezaubert mich schon seit ihrer Kindheit. Mein ganzes Leben lang.«
Und es war ein höchst ehrenwertes Leben gewesen. Im Krieg hatte der junge Pollington mehrere Orden und Tapferkeitsauszeichnungen erhalten und schließlich dem Generalstab angehört.
»Ich habe unter drei Königinnen gedient«, pflegte er zu sagen, »und mich mit allen gut vertragen. Die einzige Queen, mit der ich Probleme hatte, war Feldmarschall Montgomery.«
»Sie hört auf Sie«, sagte Sir Kevin und fragte sich, ob der Biskuitkuchen wohl vertrauenswürdig war.
»Das bilde ich mir auch ein«, sagte Sir Claude. »Aber was soll ich ihr sagen? Lesen. Wie eigenartig. Greifen Sie doch zu.«
Gerade noch rechtzeitig erkannte Sir Kevin, dass der Überzug nicht etwa aus Zuckerguss, sondern aus Schimmel bestand, und schaffte es, sein Stück im Aktenkoffer verschwinden zu lassen.
»Vielleicht könnten Sie sie an ihre Pflichten erinnern?«
»Daran musste Ihre Majestät nie erinnert werden. Wenn Sie mich fragen, ist sie eher zu pflichtbewusst. Lassen Sie mich mal überlegen…«
Der alte Mann grübelte, und Sir Kevin wartete.
Erst nach einer Weile merkte er, dass Sir Claude eingeschlafen war. Er stand deutlich hörbar auf.
»Ich werde kommen«, sagte Sir Claude. »Ist ein bisschen her seit meinem letzten Ausflug. Sie schicken mir einen Wagen?«
»Natürlich«, sagte Sir Kevin und schüttelte ihm die Hand. »Bitte behalten Sie doch Platz.«
Als er ging, rief Sir Claude ihm nach.
»Sie sind doch der aus Neuseeland, oder?«
»Ich höre«, sagte der Adjutant, »es wäre vielleicht ratsam, wenn Ihre Majestät Sir Claude im Garten empfingen.«
»Im Garten?«
»An der frischen Luft, Ma’am.«
Die Queen schaute ihn an. »Wollen Sie damit sagen, dass er riecht?«
»Offenbar ziemlich, Ma’am.«
»Der Arme.« Was glaubten sie wohl, so fragte sie sich gelegentlich, was sie ihr ganzes Leben getan hatte? »Nein. Er muss nach oben kommen.«
Doch als der Adjutant vorschlug, ein Fenster zu öffnen, lehnte sie nicht ab.
»Weshalb möchte er mich denn sprechen?«
»Ich habe keine Ahnung, Ma’am.«
Sir Claude kam auf seine beiden Gehstöcke gestützt herein, neigte den Kopf an der Tür und noch einmal, als Ihre Majestät ihm die Hand gab und ihn zum Hinsetzen aufforderte. Ihr Lächeln blieb zwar freundlich, und sie ließ sich nichts anmerken, aber ihr Diener hatte nicht übertrieben.
»Wie geht es Ihnen, Sir Claude?«
»Sehr gut, Eure Majestät. Und Ihnen, Ma’am?«
»Sehr gut.«
Die Queen wartete, aber Sir Claude war zu
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