Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition)
getestet wurde, ließ sich diese Korrelation nicht nachweisen. Die Assoziierung trat weder allgemein auf noch war sie stark genug, um eine messbare Tendenz abzugeben. John A. Finarelli und John J. Flynn, die die Studie durchführten, schlossen daraus, dass «die moderne Distribution der Enzephalisation, der Gehirnausbildung, bei Karnivoren durch komplexe Prozesse herausgeformt wurde».[ 14 ] In anderen Worten, wir müssen mehrere Selektionskräfte ausfindig machen.
Wenn es keine Anpassung an Umweltveränderungen war (was freilich alles andere als abschließend geklärt ist), was löste dann das schnelle evolutionäre Wachstum des menschlichen Gehirns aus? Einer der Gründe war wahrscheinlich der allmählich wachsende Rückgriff auf Fleisch als Hauptproteinquelle; nachweisbar ist er durch die grundlegenden Veränderungen in der Schädel- und Gebissanatomie. Auch zu diesem Wandel kam es nicht plötzlich. Zunächst weideten die Vorgänger des Homo habilis wahrscheinlich Teile von Leichnamen großer Tiere ab. Die ältesten bekannten Steinwerkzeuge, die für die eine oder andere Funktion grob abgeschlagen waren, sind sechs bis zwei Millionen Jahre alt. Aus ihrer länglichen Form und den scharfen Kanten, außerdem aus Einkerbungen auf einem fossilen Antilopenknochen, lässt sich begründet ableiten, dass diese Werkzeuge dazu benutzt wurden, Fleisch und Mark großer Tiere abzukratzen, vielleicht nachdem andere Aasfresser vertrieben worden waren.[ 15 ] Die Hominiden in diesem Stadium der Evolution waren ganz offensichtlich Australopithecina.
Vor etwa 1,95 Millionen Jahren, zu Zeiten des Homo habilis und vor dem Aufkommen des bereits moderner wirkenden Homo erectus , erjagten dessen Abkommen, die ältesten Hominini, auch Beute im Wasser, also Schildkröten, Krokodile und Fische.[ 16 ] Letztere waren höchstwahrscheinlich Welse, die auch heute noch bei Trockenzeiten in Wasserrückstandsbecken in großer Dichte konzentriert vorkommen und sich leicht mit der Hand fangen lassen. Bei meiner eigenen zoologischen Feldforschung bin ich immer wieder auf trockenfallende Teiche gestoßen, in denen sich Fische und Wasserschlangen ohne große Anstrengung mit Netzen bedecken und zu Dutzenden hochziehen lassen. (Es war so leicht, dass ich mir durchaus vorstellen kann, mit einer Gruppe Habiles das Abendessen zu erjagen, wenn sie sich einmal an meine Hochwüchsigkeit und meine seltsame Kopfform gewöhnt haben.)
Doch die Jagd auf Beutetiere und damit die Versorgung mit tierischen Proteinen, die sich beim einzelnen Tier positiv auf die Gehirnentwicklung auswirken, erklärt für sich genommen noch nicht, warum das Gehirn der Hominiden so extrem anwuchs. Der eigentliche Grund liegt offenbar darin, wie die Beute erjagt wurde. Moderne Schimpansen jagen überwiegend geschwänzte Affen und holen etwa drei Prozent ihrer gesamten Kalorienzufuhr aus dem so gewonnenen Fleisch. Beim modernen Menschen liegt dieser Anteil, wenn er die Wahl hat, zehnmal so hoch. Doch selbst bei dem kleineren Anreiz bilden Schimpansen für die Jagd organisierte Gruppen und entwickeln komplexe Strategien. Ihr Verhalten ist unter Primaten im Grunde einzigartig. Die einzigen anderen nichtmenschlichen Primaten, die beim Jagen nachweislich kooperieren, sind die über große Hirne verfügenden Kapuzineraffen in Mittel- und Südamerika.
Dem Jagdrudel gehören beim Schimpansen ausschließlich Männchen an. Sie wurden dabei beobachtet, wie sie in koordinierten Gruppen Affen fingen. Ein Affe, der von seiner eigenen Gruppe getrennt werden konnte, wird zunächst auf einem relativ isoliert stehenden Baum in die Enge getrieben. Ein oder zwei Schimpansen klettern auf diesen Baum, um das Beutetier nach unten zu scheuchen, während andere sich unten an die nächstgelegenen Bäume stellen, um zu verhindern, dass der Affe in die Kronen anderer Bäume gelangt und an deren Stämmen abwärts und in die Freiheit klettert. Ist die Beute gefasst, so wird sie zu Tode geprügelt und gebissen. Dann zerreißen die Jäger sie und teilen das Fleisch untereinander auf. Widerwillig werden auch kleine Stücke an andere Gruppenmitglieder abgegeben. Dasselbe Verhalten wurde bei Bonobos beobachtet, den nächsten lebenden Verwandten von Schimpansen; allerdings wirken hier beide Geschlechter mit.[ 17 ] Das Jagdfieber wird dadurch nicht geringer, auch nicht, wenn Weibchen das Geschehen dominieren.
4.3 Der Homo erectus , in dem die Forschung den unmittelbaren Vorfahren des Homo sapiens sieht, vollzog die
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