Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition)
zur Evolution vollständig eusozialer Gesellschaften gelangt. Sie haben nur Schnabel und Krallen, konnten also nie annähernd gewandt mit Werkzeugen umgehen, und schon gar nicht mit Feuer. Wölfe und afrikanische Wildhunde jagen in koordinierten Rudeln ähnlich wie Schimpansen und Bonobos, und der afrikanische Wildhund gräbt auch Bauten, in denen ein oder zwei Weibchen größere Würfe gebären. Manche Rudelmitglieder jagen und bringen der Alpha-Hündin und den Jungen einen Anteil Futter, während andere als Wächter zu Hause bleiben. Diese bemerkenswerten Caniden haben zwar die seltenste und schwierigste Präadaption herausgebildet, nicht aber echte Eusozialität mit einer Arbeiterkaste oder einer Intelligenz auch nur auf Höhe der Affen. Sie können keine Werkzeuge herstellen. Ihnen fehlen Greifhände und Finger mit weichen Kuppen. Sie bleiben Vierbeiner, die auf ihre Reißzähne und mit Fell umhüllten Klauen angewiesen sind.
4.
DIE ANKUNFT
Vor zwei Millionen Jahren schritten hominide Primaten auf verlängerten Hinterbeinen über den Boden Afrikas. Nehmen wir die genetische Vielfalt zum Kriterium, die sich an Erbunterschieden in der Anatomie messen lässt, so waren sie ein Erfolg. Sie hatten eine adaptive Radiation erreicht, bei der viele Arten gleichzeitig koexistierten und sich zumindest teilweise in ihrer geografischen Verteilung überschnitten. Zwei oder drei von ihnen waren Australopithecina, und mindestens drei unterschieden sich in Gehirngröße und Gebiss so stark, dass die Taxonomen sie in die neu herausgebildete Gattung Homo einordnen. Alle lebten in einer komplexen Umwelt, in der sich Savanne, Savannenwald und flussnahe Weichholzauen mischten. Australopithecina waren Vegetarier und ernährten sich von Blättern, Früchten, Wurzeln und Samen. Pflanzliche Nahrung sammelten und aßen auch die Homo -Arten, aber zusätzlich verzehrten sie Fleisch, wahrscheinlich indem sie Kadaver größerer Beutetiere ausweideten, die andere Räuber überwältigt hatten; mit kleineren Tieren wurden sie selbst fertig. Dieser Wandel, der in eine freie Abzweigung im Labyrinth der Evolution führte, sollte den alles entscheidenden Unterschied ausmachen.
Die hominiden Primaten von vor zwei Millionen Jahren waren recht unterschiedlich, allerdings auch nicht vielfältiger als die zahlreichen Antilopen und geschwänzten Altweltaffen (Cercopithecoidea) in ihrem Umfeld. Sie wiesen ein hohes Potenzial auf – wie unser eigenes Dasein bezeugt. Trotzdem war ihr dauerhaftes Überleben von einer Generation zur nächsten immer gefährdet. Ihre Populationen waren im Vergleich zu den großen Pflanzenfressern spärlich, und sie waren weniger zahlreich als einige der menschengroßen Fleischfresser, die Jagd auf sie machten.
4.1 Rekonstruktion eines Verbandes des Australopithecus afarensis , eines Vorläufers und wahrscheinlichen Vorfahren des Menschen, der vor fünf bis drei Millionen Jahren in Afrika lebte.
Während des häufig unwirtlichen, zehn Millionen Jahre dauernden Neogens entwickelten sich vor und zeitgleich mit dem Aufkommen der hominiden Primaten häufiger neue Säugetierarten, die genauso groß waren wie der Mensch; aber sie starben auch häufiger aus.[ 8 ] Kleinere Säugetiere konnten extreme Umweltveränderungen im Durchschnitt besser abpuffern als große Säugetiere (darunter auch der Mensch). Dazu bauten sie Höhlen, machten Winterschlaf, fielen in Hunger- oder Kältestarre; alle diese Anpassungen sind größeren Säugetieren verwehrt. Paläontologen haben festgestellt, dass die Artenfluktuation bei Säugetieren, die soziale Gruppen bilden, sogar noch höher war. Sie weisen darauf hin, dass soziale Gruppen während der Brutzeit dazu neigen, sich voneinander abzusondern, also kleinere Populationen bilden und sich damit sowohl rascherer genetischer Divergenz als auch höheren Aussterbensraten aussetzen.[ 9 ]
Während der sechs Millionen Jahre zwischen der Trennung von Schimpansen und Vormenschen bis zum Ursprung des Homo sapiens kam es zu einer raschen Ereignisfolge, die in der Auswanderung dieser Art aus Afrika kulminierte. Als die Kontinentalgletscher sich südwärts über Eurasien ausbreiteten, gab es in Afrika eine lange Trocken- und Kältephase. Ein Großteil des Kontinents war von trockenem Grasland und Wüsten überzogen. In dieser schwierigen Zeit hätte der Tod von ein paar tausend Individuen, vielleicht sogar nur von ein paar Hundert die Abstammungslinie des Homo sapiens ganz auslöschen können. Doch obwohl die
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